Klangmosaik mit Interviewtexten

Die Texte des Doppelalbums «Joy Anger Doubt» stammen teilweise aus ethnografischen Interviews, die der Norient-Gründer Thomas Burkhalter in den vergangenen 15 Jahren geführt hat. Für die Musik, mit vielen Featurings, zeichnet er zusammen mit Daniel Jakob verantwortlich.

Melodies In My Head: Daniel Jakob und Thomas Burkhalter. Foto: Web

Unter den vielen, feinen Taten des weitgereisten Berner Autors, Anthropologen, Musikethnologen und «Audiovisual Artist» Thomas Burkhalter ragt wohl die Gründung von Norient heraus. Unter der Ägide eines global verstreuten Teams präsentiert diese Arbeitsgemeinschaft unter anderem eine ausgezeichnete Website mit audiovisuellen Beiträgen über untergrundhafte, urbane Musikszenen aus aller Welt. Wie Burkhalter ist auch Daniel Jakob ein Urgestein der Berner Szene. Auf seine erste Band Merfen Orange folgten die Elektronikpioniere Filewile, danach wandte er sich dem Dub/Reggae zu und arbeitete auch mit Lee Perry. Nun haben sich die beiden schöpferisch zusammengetan. Die doppelte Vinylversion ihres Albumdebuts ist eine computerkünstlerische Augenweide, die prägnant signalisiert, dass wir es hier nicht mit einem ethnografischen Museumsprojekt zu tun haben. Burkhalter und Jakob zeichnen für die Musik und einen Teil der Texte verantwortlich. Gastsänger und -sängerinnen wie Joy Frempong, Christophe Jaquet aus Lausanne und der Bhangra-Veteran Balbir Bhujhangy aus Birmingham steuern eigene Worte bei – andere Textpassagen sind Interviews entnommen, die Burkhalter während seinen Reisen geführt hat. Musikalisch gesehen bewegt sich das Projekt zwischen pfundigen Tanzbeats mit poppigen Gesangsmelodien, trancigem Techno, Ambient-Klängen und – dies ein Highlight – der bedrohlichen, an die Young Gods gemahnenden, perkussiven Intensität von Pressure From All Sides. Der Musik ist die globale Dimension des Projekts nur spurenhaft anzumerken. Die Stimmen dagegen widerspiegeln diese laut und deutlich. Sie sprechen zu gleichen Teilen von Träumen, Frust und kreativer Inspiration (den Kenianer Boutross Munene ereilt eine solche gewöhnlich um vier Uhr früh, wenn er den ersten Kaffee getrunken hat). Ob man die Interviewausschnitte mehr als zwei Mal zu hören braucht, sei dahingestellt – dennoch bilden sie einen integralen Teil eines faszinierenden Klangmosaiks.

Melodies In My Head: Joy Anger Doubt. melodiesinmyhead.com

Groovende Weihnacht

Gerwin Eisenhauer hat einen zweiten Band mit Play-alongs für die Adventszeit herausgebracht. Sie bieten viel Freiraum für jedes Niveau.

Kleine Trommel unter dem Weihnachtsbaum. KI-generiert von depositphotos.com

The Christmas Drum Book 2 beinhaltet abwechslungsreiche Christmas-Play-alongs in unterschiedlichen Stilen von Pop, Swing, Hip-Hop und Funk. Dabei sind traditionelle amerikanische Songs sowie einige Klassiker aus dem deutschsprachigen Raum.

Bis auf Jingle Bells sind die Drumset-Titel offen gestaltet, das heisst, es stehen verschiedene, zum Stück passende Grooves zur Auswahl. Der Chart zeigt lediglich die Form und Abläufe des Songs mit Angabe der Feels und möglichen Fill-ins. Das ist sehr praktisch, übersichtlich und lässt Platz für eigene Interpretationen.

Wie schon beim ersten Band sind einige Stücke speziell für die kleine Trommel arrangiert, damit die jungen Schlagzeuger vor dem Christbaum etwas zum Besten geben können, ohne das ganze Drumset aus dem Keller holen zu müssen. Auch hier gibt es bei jedem Titel einen Open-Chart, sowie drei Schwierigkeitsstufen: easy, intermediate und difficult. So ist für jedes Niveau etwas dabei und es gibt auch hier genügend Freiraum, um seine eigene Kreativität einfliessen zu lassen.

Im Vorwort schreibt der Autor Gerwin Eisenhauer: «Ich bin der festen Überzeugung, dass es sehr sinnvoll ist (auch für ganz junge Schülerinnen und Schüler), sich mit Grooves ausserhalb des gängigen 4/4-Takts zu beschäftigen, um einen umfassenderen Blick auf unsere wunderbare rhythmische Welt zu bekommen.» Bei vielen der Songs liegt deshalb der Fokus auf den ungeraden Taktarten.

Die Songs sind aufwendig und qualitativ hochwertig eingespielt worden und können mit diversen Hör- und Play-along-Versionen als MP3 heruntergeladen werden.

Dieses Buch ist ein tolles musikalisches Weihnachtspaket für beginnende und fortgeschrittene Schlagzeuger. Es gibt genügend Material für die Unterrichtszeit von November bis Weihnachten, mit dem man Technik, Musikalität und verschiedene Feels üben kann und gleichzeitig etwas Weihnachtsstimmung in den Unterricht bringt.

Gerwin Eisenhauer: The Christmas Drum Book 2, D 420, mit Audio-Download, € 18.80, Dux, Manching

Generalbass: Aller Anfang ist leicht

Monika Mandelartz zeigt an Beispielen zumeist englischer Tanzmusik des Frühbarocks, wie man sich an die historische Improvisation herantastet.

Das Konzert. Ölbild von Aniello Falcone (1606–1656). Museo del Prado / wikimedia commons

Generalbassspiel auf Tasteninstrumenten setzt unterschiedliche Kompetenzen voraus: Spieltechnik, Harmonieverständnis, Lese- und Reaktionsfähigkeit im Begleiten und zudem improvisatorische Fantasie, da die allermeisten Töne ja nicht in den Noten stehen. Die grössten Anfangsschwierigkeiten bereitet das Spielen ohne präzise Notenvorgabe, was im Zusammenspiel mit anderen Stimmen aber wesentlich leichter ist, vorausgesetzt die Musik ist nicht zu anspruchsvoll.

Genau hier setzt Greensleeves and Pudding Pies an. Im Rahmen von Ensemblestücken mit einer oder optional zwei Oberstimmen aus der zumeist englischen Tanzmusik des Frühbarock, können Anfänger auf der niedrigsten Stufe (Level 1) ohne grosse Vorbereitung ihre ersten Schritte in der Continuo-Improvisation wagen: 1.) bei wiederholt angeschlagenen, gleichen Basstönen (und Akkorden), 2.) mit Pendelbässen, 3.) ersten Schrittfolgen, 4.) auf Orgelpunkten mit wechselnden Harmonien, wobei schon Ziffern zu lesen sind, bis hin zu 6.) Bassbewegungen bei ausgehaltenen Akkorden der «rechten Hand». Auf dieser einfachen Grundlage sind der Gestaltung der «Continuo-Beginner» keine Grenzen gesetzt: rhythmisch, harmonisch, figurativ, melodisch, ornamental usw. Dazu braucht man nur ein Instrument, eine Mitspielerin oder einen Mitspieler und natürlich das einladende Heft der Hamburger Cembalistin, Harfenistin und Blockflötistin Monika Mandelartz. Level 2 und 3 warten schon mit der Fortsetzung!

Monika Mandelartz: Greensleeves and Pudding Pies. Figured Bass and Historic Improvisation, 50 Pieces for 2 or more Instrumentalists, Level 1, EW 1220, € 26.50, Walhall, Magdeburg

Kontemplative Klangreise

Auf ihrem ersten gemeinsamen Werk widmen sich der Schweizer Schlagzeuger Marcol Savoy und der französische Pianist Alfio Origlio einem Musikdialog, der sich neugierig und nuancenreich zeigt.

Alfio Origlio (li) und Marcol Savoy. Foto: Anne Colliard

Oftmals bilden Drummer zusammen mit dem Bassisten die Rhythmusgruppe einer Band und damit deren Fundament. Aus Sicht des Schlagzeugers und Komponisten Marcol Savoy geht es aber auch ganz anders: Der an der Haute Ecole de Jazz de Lausanne und am Lausanner Konservatorium ausgebildete Musiker mag es durchaus, im klanglichen Mittelpunkt zu stehen und immer wieder neue Elemente in sein Spiel mit den Jazzdrums zu integrieren. Für sein neues Album Improspections hat er sich mit dem französischen Pianisten Alfio Origlio zusammengetan, der sich unter anderem dadurch auszeichnet, Merkmale des Chansons in sein jazziges Spiel einfliessen zu lassen. Wie dem Cover des Werkes zu entnehmen ist, handelt es sich bei den 17 Tracks samt und sonders um Improvisationen. Dem Background des Duos entsprechend sind die Stücke dabei nicht nur vom Jazz, sondern auch von Weltmusik und Klassik geprägt. Gemeinsam machen sich die zwei auf die Reise in eine kontemplative Klangwelt, bei der insbesondere die Resonanzen und die Stille im Fokus stehen. Keine der Kompositionen erreicht 4 Minuten, manche bleiben sogar unter 120 Sekunden, was sie wie Momentaufnahmen wirken lässt.

Während sich die Musik in Songes vorsichtig durch eine unbekannte Traumwelt tastet, zeigt sich das anschliessende Nuits nicht nur elegischer, sondern auch zunehmend selbstsicher. Man spürt förmlich, wie der Dialog zwischen Schlagzeug und Piano an Fahrt gewinnt, sich vertieft und bisweilen verschärft und schliesslich in Stücken wie dem subtil vorgetragenen Différé oder dem zunehmend polternden Sables mündet. Was besonders grossen Hörgenuss bereitet, ist der kontinuierliche Entwicklungsprozess der Musik, die sich nie auf ihren Lorbeeren ausruht und stets neugierig bleibt. Daraus ergeben sich immer wieder neue Stimmungen und Schattierungen, mal meditativ, mal schwirrend. Fazit: Wer sich auf Improspections einlässt, wird mit knapp vierzig Minuten nuancenreicher Tonkunst belohnt.

Improspections. Marcol Savoy, drums; Alfio Origlio, piano.marcolsavoy.com

 

 

Komplexe Entstehungsgeschichte

Das 2. Streichquartett von Béla Bartók ist in einer Neufassung erschienen, es ist die wohl wahrscheinlichste Version nach dem Willen des Komponisten.

Waldbauer-Quartett: Jenő Kerpely, Imre Waldbauer, Antal Molnár, János Temesváry, mit Béla Bartók (links sitzend) und Zoltán Kodály (rechts sitzend), 1910. Foto: Aladár Székely / wikimedia commons

Béla Bartóks eminent schwierige Streichquartette sind längst keine Schreckgespenster eines klassisch-romantisch orientierten Publikums mehr, sondern fester Bestandteil des Bühnenrepertoires und eine willkommene Herausforderung für professionelle Streichquartette. Die langwierige Entstehungs- und komplexe Verlagsgeschichte des 2. Streichquartetts op. 17, uraufgeführt am 3. März 1918 vom Waldbauer-Kerpely-Quartett in Budapest, erschwerte die vorliegende Neuausgabe bei G. Henle in Zusammenarbeit mit der Editio Musica Budapest  erheblich.

Erste Motive und Entwürfe einzelner Passagen entstanden bereits 1914. 1915 entwickelte Bartók das Stück weiter, bevor er pausierte und erst im Frühjahr 1917 in die Endphase des Komponierens eintrat. Anfang und Ende des Prozesses stimmen annähernd mit den Eckdaten des Ersten Weltkrieges überein, dessen Wirren grossen Einfluss auf die Entstehung hatten. Nicht Ungarns Folklore stand diesmal Pate, sondern Eindrücke einer vor dem Krieg durchgeführten Reise mit seiner Frau Márta nach Algerien. Überrumpelten «Landbewohnern» verschiedener Oasen setze Bartók damals den berühmten Sammel-Fonografen vor die Nase. Die Ausbeute der vorzeitig wegen unerträglicher Hitze und Gesundheitsproblemen des Komponisten abgebrochenen Forschungsreise findet ihren Niederschlag im zweiten Satz, der rhythmisch und melodisch arabisch geprägt ist. Im resignativ endenden letzten Satz, den sein Freund Zoltán Kodály mit der imaginären Überschrift «Leid» versah, könnte man einen Abgesang auf die versunkene Welt der österreichisch-ungarischen Monarchie oder gleich der europäischen Ordnung mittels eines sinnlos mörderischen Krieges mit zahllosen Opfern verstehen.

Das zunehmende Chaos im Verlauf des letzten Kriegsdrittels erschwerte die Kommunikation zwischen Bartók und der Universal Edition in Wien. Nicht alle im Prozess der Korrekturen entstandenen Druckgrundlagen haben überlebt. Selbst der Komponist konnte bis in sein Todesjahr 1945 nicht alle Diskrepanzen ausräumen, weswegen die Neuausgabe sich auf die wahrscheinlichste Endfassung nach Bartóks Willen stützt. Dennoch konnten einige Fehler der Universal-, später Boosey-&-Hawkes-Ausgabe eliminiert werden, und Interpreten dürfen sich über eine in allen Punkten überzeugende Revision freuen. Spannend sind auch die zugänglich gemachten Anmerkungen Kodálys zu Bartóks Werk, die dieser aus unerklärlichen Gründen in Gänze publizistisch ignoriert hatte.

Einen grossen, ungemein angenehmen Fortschritt hat man hinsichtlich der Entzerrung des Notenbilds gemacht. So wurde beispielsweise die Stimme der 1. Violine von bisher 11 Seiten auf 17 erweitert.

Béla Bartók: Streichquartett Nr. 2 op. 17, hg. von László Somfai; Stimmen: HN 1422, € 24.00; Studienpartitur: HN 7422, € 14.00; G. Henle, München

Reduzierter Sonnengesang

Urs Stäuble hat Hermann Suters Oratorium «Le Laudi» für Aufführungen mit kleinerer Besetzung eingerichtet.

Franz von Assisi, oberer Teil des ältesten Porträts, eines Wandgemäldes aus dem Kloster Sacro Speco in Subiaco. Quelle: Parzi / wikimedia commons

Das Oratorium Le Laudi nach Franz von Assisis Sonnengesang komponiert von Hermann Suter (1870–1926) wurde vor genau hundert Jahren in Basel uraufgeführt und machte ihn international berühmt. Das beliebte Stück wird zwar noch ab und zu aufgeführt, aber der grosse personelle und finanzielle Aufwand für solch einen spätromantischen «Schinken» übersteigt oftmals die Möglichkeiten kleiner werdender Chöre.

Urs Stäuble, der sich bereits mit anderen Reduktionen einen Namen gemacht hat, legt nun beim Musikverlag Hug in Zürich eine gekonnte Kammerfassung vor. Die originale Partitur reduziert er auf ein Streichquintett, das sich an der Grösse des Chores orientieren kann, einen Schlagzeugspieler und Orgel, die die relevanten Bläserstimmen übernimmt. Die Vokalstimmen bleiben unverändert, um den vorhandenen Klavierauszug (ebenfalls Hug) weiterverwenden zu können. Neben einem geeigneten Aufführungsort, bei dem sich eine gut disponierte Orgel in der Nähe der Ausführenden befinden muss, braucht man versierte Spieler für die teils sehr virtuosen Streicherpartien.

Eine sehr empfehlenswerte Kammerfassung, die dieses ergreifende Werk auch kleineren Chören zugänglich macht.

Hermann Suter: Le Laudi di San Francesco d’Assisi (Sonnengesang), Kammerfassung von Urs Stäuble, Partitur, Hug Musikverlage, Zürich

Eine Zauberflöte ohne Diskriminierung

Die Initiative «Critical Classics» hat sich zum Ziel gesetzt, die Libretti bekannter Bühnenwerke von rassistischen und sexistischen Stereotypen zu befreien.

Pamina, Sarastro und Monostatos in überkommenen Posen. Liebig’s Sammelbilder, 1909. Quelle: wikimedia commons

Geht man als junge Frau in die Oper, muss man sich allerhand ansehen und anhören: Frauen auf den Bühnen werden entführt, ermordet, in den Wahnsinn getrieben, bevormundet oder negativ dargestellt, regelrecht auf den Altären der Oper geopfert. In Mozarts Zauberflöte scheint Pamina nur ein Spielball zwischen der rachsüchtigen Königin der Nacht und Sarastro zu sein und fällt hinter ihrem männlichen Gegenpart Tamino zurück.

Was tun mit den Opern aus vergangen Jahrhunderten, in welchen Sexismus, Rassismus und Diskriminierung aller Art enthalten sind? Die Initiative Critical Classics, die von Theatermanager und Regisseur Berthold Schneider gegründet wurde und vom Landesmusikrat Nordrhein-Westfalen unterstützt wird, hat sich dieser Frage angenommen und es sich zur Aufgabe gemacht, Libretti aus früheren Jahrhunderten kritisch zu lesen und sie gemäss modernen Standards in Bezug auf nichtdiskriminierende Sprache und Darstellung zu überarbeiten. Das Critical-Classics-Team, bestehend aus Opern-, Musik-und Theaterschaffenden, Autoren sowie Diversitätsberatenden, hat eine Neuausgabe des Zauberflöten-Librettos erarbeitet, die nun online frei verfügbar ist.

Die meistgespielte Oper zuerst

Bei Mozarts und Schikaneders Zauberflöte anzusetzen, macht Sinn. Sie ist die wohl berühmteste Oper überhaupt und enthält viel Problematisches. Zum einen ist da die Rolle des Monostatos, dessen Hautfarbe und Herkunft durchwegs negativ gedeutet werden. Die Beschreibung als «böser Mohr» und seine Aussage «Und ich soll die Liebe meiden, weil ein Schwarzer hässlich ist!» sind auf rassistischen Stereotypen basierende Darstellungen, die nichts mehr auf der Opernbühne zu suchen haben. In der Neuausgabe von Critical Classics wird Monostatos zum bösen Knecht, der zugleich der uneheliche Sohn von Sarastro ist. Dieser will ihn nicht als Erbe anerkennen, woraus sich ein plausibler Konflikt ergibt, der nicht rassistisch motiviert ist.

In Schikaneders Libretto ist für Pamina, Papagena und die namenlose Königin der Nacht die Unterordnung unter Männer die grösste Pflicht. Diese Darstellung von Frauen, die durch Verallgemeinerungen wie «Ein Weib tut wenig, plaudert viel» unterstützt wird, weicht in der Neuausgabe einem positiveren, selbstbestimmten Frauenbild. So behauptet sich Papagena selbstbewusst und schlagfertig gegen Papageno, und das vormals «schüchterne Reh» Pamina erhält eine zusätzliche Arie im vierzehnten Auftritt des ersten Aktes. Mozarts Konzertarie Nehmt meinen Dank, Ihr holden Gönner, mit einem neuen Text versehen, verleiht Pamina die Möglichkeit, sich selbstreflexiv zu zeigen und das Geschehene kritisch zu hinterfragen.

Ressourcen für individuelle Lösungen

Die Neuausgabe überzeugt, weil sie trotz Änderungen dem Originaltext treu bleibt, gut durchdachte Alternativen bietet, Kontexte erklärt und ausnahmslos jede Änderung dokumentiert und begründet ist. Nicht ganz konsequent umgesetzt sind die Ersetzungen von «Weib» und «Mädchen» mit «Frau». Ausserdem ist in der Neufassung die Rede von der «reinen Abkunft» Sarastros, im Gegensatz zu Monostatos’ unehelicher Herkunft. Diese Formulierung müsste nochmals überdacht werden, da sie ebenfalls problematische Konnotationen mitbringt.

Die Neuausgabe soll laut Critical Classics nicht als absolute Version gelten, sondern als Vorschlag für Produktionen dienen, in welchen eigene Anpassungen möglich sind. Die Stärke von Critical Classics liegt genau darin: im Schaffen von Ressourcen für Aufführungen und im Entfachen von Debatten darüber, was genau Libretti aus früheren Zeiten transportieren und wie damit umgegangen werden soll. Die Neuausgabe der Zauberflöte zeigt auf, dass Operntexte nicht unantastbar sind, sondern sich verändern müssen, damit die Oper weiterbestehen kann.

Als Nächstes sollen Bachs Johannespassion, Bizets Carmen und Puccinis Madama Butterfly überarbeitet werden. Libretto und Klavierauszüge mit dem veränderten Zauberflöten-Text, Noten der eingefügten Arie sowie weitere Informationen unter:
criticalclassics.org

«Samson» nach über 170 Jahren uraufgeführt

Joachim Raffs Oper «Samson» kam zu seinem 200. Geburtstag erstmals auf die Bühne. Nun liegt das monumentale Werk auf CD vor.

Samson and Delilah. Gemälde von Anthonis van Dyck, 1628–1630. Kunsthistorisches Museum Wien/wikimedia commons

Erst vor zwei Jahren wurde die 1856 vollendete Oper Samson des 1822 in Lachen/SZ geborenen Komponisten Joachim Raff in Weimar uraufgeführt. Nun hat Graziella Contratto mit ihrem Label Schweizer Fonogramm das mehr als dreistündige Werk in einer aufwendigen, künstlerisch bemerkenswerten Studioproduktion (Aufnahmeleitung: Frédéric Angleraux) samt dreisprachigem Libretto und ausführlichem Einführungstext als Ersteinspielung in Zusammenarbeit mit den Bühnen Bern und der Joachim-Raff-Gesellschaft Lachen vorgelegt. Ob sich die Oper künftig auf der Bühne behaupten kann, mag bezweifelt werden – zu oratorisch ist Raffs Dramaturgie, zu langatmig geraten sind manche Szenen. Musikalisch ist dieses Werk aber auf alle Fälle lohnend mit seiner farbigen Instrumentation, dem direkten Nebeneinander von Klangmassen und Fragilität und den kantablen, anspruchsvollen Solopartien

Als Assistent von Franz Liszt erlebte Raff die Uraufführung von Wagners Lohengrin in Weimar aus nächster Nähe, was ihn zu seiner Oper Samson inspirierte. Den Lohengrin hört man nicht nur am Ende des ersten Aufzugs im Chor «Heil dem Helden von Dan», sondern auch in der anspruchsvollen, hoch liegenden Titelpartie. Magnus Vigilius verbindet lyrischen Schmelz mit grosser Strahlkraft. In einzelnen Passagen wie «So sind zerrissen» fehlt es ein wenig an Flexibilität. Olena Tokar ist eine vielschichtige Delilah, deren reiche Sopranstimme nur in der dramatischen Höhe etwas an Ausgewogenheit verliert. Mit Robin Adams als sich zwischen Selbstbewusstsein und Verzweiflung bewegendem Abimelech, Christian Immler als Oberpriester mit natürlicher Autorität und Michael Weinius als von Delilah verschmähtem Liebhaber Micha ist das gute Solistenensemble komplett.

Dirigent Philippe Bach arbeitet mit dem Berner Symphonieorchester viele lohnende Details heraus, etwa wenn die Klarinette Samson verspottet oder beim Kindertanz in den Flöten eine mendelssohnsche Leichtigkeit entsteht. Die Streicherbegleitung ist griffig, die Blechbläser sorgen für eindrucksvolle szenische Momente wie beim Auftritt des Oberpriesters. Der Chor der Bühnen Bern macht aus dem Volk eine klangschöne, jederzeit zur Eskalation bereite Gemeinschaft, vor der man sich auch fürchten kann.

Joachim Raff: Samson, Musikdrama in drei Abteilungen, Libretto vom Komponisten, Ersteinspielung. Magnus Vigilius, Olena Tokar, Robin Adams, Christian Immler, Michael Weinius, Berner Symphonieorchester, Chor der Bühnen Bern, musikalische Leitung Philippe Bach. 3 CDs, Schweizer Fonogramm.

Leicht und doch nicht so leicht

Die Klavierstücke und Tänze, die Josef Suk als «leicht» bezeichnet, haben es sowohl pianistisch wie atmosphärisch in sich.

Porträt von Josef Suk mit der Widmung «Für das liebe Fräulein Otilce Dvořákové», 1894. Fotograf unbekannt/wikimedia commons

Im Verlag Bärenreiter Prag sind in den letzten Jahren einige Werke von Josef Suk (und übrigens auch von seiner Frau Otilie, der Tochter Dvořáks) erschienen. Diese Ausgaben überzeugen allesamt durch ihre Sorgfalt und vermitteln interessantes Hintergrundwissen. Die jüngste dieser Publikationen umfasst «leichte Klavierstücke und Tänze».

Herausgeber Jonáš Hájek bemerkt zu diesem Titel aber treffend: «Die Bezeichnung ‹Leichte Klavierstücke› ist mit Vorsicht zu geniessen. Hiermit liegen eher weniger anspruchsvolle Stücke aus Suks Klavierschaffen vor, doch erfordern sie nicht nur ein gewisses Niveau an technischer Vorbereitung, sondern auch Flexibilität wegen der subtilen emotionalen Wechsel auf relativ kleinem Raum.» A propos «leicht»: Es mag eine besondere Begabung von Suk sein, sowohl das «Leichte» wie auch das «Tiefsinnig-Schwere» gleichermassen und manchmal sogar gleichzeitig vermitteln zu können.

Die Sammlung beginnt mit einer walzerartigen Humoreske, gefolgt von einem elegischen Albumblatt. Die dritte Nummer, ein expressives Adagio, ma non troppo, stammt aus den Klavierkompositionen op. 12 und ist der späteren Ehefrau Otilie gewidmet. Auch das folgende Andante stammt aus einer Sammlung, nämlich der Suite op. 21.

Die folgenden Dorfserenade und Menuett zeigen Suks Liebe zum Tänzerischen und Volkstümlichen. Auch Nr. 9 Liedchen und Nr. 11 Polka aus Vysoká gehören in diesen Bereich, wobei letztere nicht wirklich eine Komposition Suks ist. Die Polka wurde offenbar «vor 30 Jahren von Musikanten für Meister Dvořák gespielt». Suk schrieb sie dann aus dem Gedächtnis nieder und richtete sie für Klavier ein.

Nr. 7 ist ohne Titel und stammt aus dem Zyklus Der Frühling op. 22a. Ein kurzes, schwermütiges Stück, eindrucksvoll wie auch das folgende mit dem Titel Wie Mutter nachts ihrem kranken Kind vorsang (aus der Sammlung Vom Mütterchen op. 28). Suk schrieb diese für seinen Sohn in Erinnerung an die frühverstorbene Otilie.

Spanischer Ulk erscheint hier erstmals im Druck. Es ist ein scherzhafter Gruss an einen Freund, verschickt auf einer Ansichtskarte aus Madrid. Das kurze Stück beginnt mit rassigen spanischen Rhythmen und endet mit einem Zitat aus dem volkstümlichen Lied Wo ist meine Heimat, das später zum tschechischen Teil der tschechoslowakischen Hymne avancierte. Suk schrieb über das Zitat übrigens noch einen witzigen Kommentar, in dem er seine «Sehnsucht nach Knödeln» zum Ausdruck brachte.

Am Weihnachtsabend schliesslich zitiert wohl eine slowakische Melodie. Es ist eine erweiterte Fassung des Liedes Gruss an die Schüler in der Slowakei. Das stimmungsvolle Klavierstück ist die Perle des ganzen Heftes und wurde am 4. Januar 1924 veröffentlicht, exakt zum 50. Geburtstag des Komponisten. Und somit ist es gerade hundertjährig geworden …

Josef Suk: Leichte Klavierstücke und Tänze, hg. von Jonáš Hájek, BA 11575, € 14.95, Bärenreiter, Prag

«à Fanny H.» – Annäherung an Fanny Hünerwadel

Drei Aarauer Gymnasiastinnen haben einen Dokumentarfilm über die Lenzburger Komponistin gedreht.

Fanny Hünerwadel. Ölbild von Anna Susanna Fries, Rom 1854. Quelle: wikimedia commons

Fanny Hünerwadel wurde 1826 in das wohlhabende Lenzburger Geschlecht Hünerwadel hineingeboren. Für eine Frau der damaligen Zeit war es nicht selbstverständlich, das Leben der Musik zu widmen, doch ihre kulturinteressierte Familie ermöglichte es ihr. Bereits in jungen Jahren entdeckte man ihre Begabung, besonders als Sängerin und Pianistin, und sie setzte ihre Ausbildung in Zürich beim Klaviervirtuosen Alexander Müller fort. In dieser Zeit kam sie in Kontakt mit Richard Wagner und traf auch auf andere Bekanntheiten der Musikwelt wie Franz Liszt, der ihr sogar das kurze Stück à Fanny H. widmete. Sie ging auf Reisen nach Paris, London und verbrachte längere Zeit in Italien, wo sie auch zu komponieren begann.

Fanny bewegte sich in den höchsten Gesellschaftsschichten, blieb dabei aber stets bodenständig und anspruchslos. In Rom erkrankte sie an Typhus und verstarb am 27. April 1854 mit nur 28 Jahren. Bei der Beerdigung erwiesen ihr zwei- bis dreihundert Menschen die letzte Ehre.

Hanna Siegel, Tabea Furrer und Jessica Berger haben sich im Rahmen ihrer Maturaarbeit an der Alten Kantonsschule Aarau intensiv mit der Sängerin, Pianistin und Komponistin Fanny Hünerwadel beschäftigt. Dabei entstand ein kurzer Dokumentarfilm, in dem die Biografie der Musikerin, ihre Werke und ihr Umfeld porträtiert werden. Obwohl Fanny Hünerwadel in ihrem zu kurzen Leben bereits internationale Erfolge feierte, kennt heute kaum noch jemand ihren Namen. Dies wollten die drei unbedingt ändern. Bei der Recherche lernten die Maturandinnen nicht nur viel über Fanny Hünerwadel selbst, sondern auch über die Geschichte Lenzburgs. Als Erweiterung ihres Projektes organisierten sie ein Konzert mit Stücken komponiert von Fanny Hünerwadel und der Filmvernissage des Dokumentarfilms.

Link zum Film (Dauer 12’19“)

Kontakt Jessica Berger: jessi.berger@outlook.com

Musikverlag Fidula erhält Deutschen Verlagspreis 2024

An der Frankfurter Buchmesse wurde die prestigeträchtige Ehrung erstmals auch einem Musikverlag zuteil.

Verlegerin Katharina Holzmeister bei der Preisverleihung in Frankfurt. Foto: Fidula

Mit dem Deutschen Verlagspreis werden «unabhängige Verlage für ihren Einsatz für die Kultur und Demokratie» gewürdigt. Dies betonte Kulturministerin Claudia Roth bei der Preisverleihung im Rahmen der 76. Frankfurter Buchmesse. 84 Verlage wurden für ihre aussergewöhnliche Programmarbeit, ihre Kreativität und ihr kulturelles Engagement ausgezeichnet. Ein Preisgeld von 18 000 Euro ging dabei an den Fidula-Verlag.

Fidula-Verlag

Seit über 75 Jahren prägt der in dritter Generation geführte Musikverlag die musikalische Bildung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Mit einem breiten Angebot an Liedern, Tänzen, musikpädagogischen Fachbüchern und Schülermusicals ist er eine wichtige Anlaufstelle für Musiklehrpersonen und Chöre

Das Verlagscredo «einfach, aber anspruchsvoll» spiegelt sich beispielsweise im international erfolgreichen Kindermusical Tuishi Pamoja, das jedes Jahr über 120-mal auf den Bühnen der Welt zu sehen ist. Insgesamt verzeichnen Fidula-Schülermusicals jährlich über 1000 Aufführungen, womit mehr als 25 000 Kinder singen, spielen und eine unvergessliche Erinnerung mitnehmen. Die Stücke entsprechen der gesunden Kinderstimmlage und werden vor der Veröffentlichung erprobt.

Seit fast 50 Jahren gibt der Verlag vierteljährlich die Zeitschrift musikpraxis heraus mit Beiträgen für alle, die Musik aktiv in ihre Arbeit mit Kindern einbringen wollen. Die alljährliche Fidula-Tagung bietet Musikpädagoginnen und -pädagogen Fortbildung und frische Ideen.

Verlegerin Katharina Holzmeister, die Enkelin des Verlagsgründers, setzt sich für junge Unternehmerinnen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein. Zudem ist sie Vorsitzende der AG «Kleine Musikverlage» im Deutschen Musikverlegerverband.

Fidula – Fachverlag für Musikpädagogik, Chormusik und Musicals

Das neue Köchel-Verzeichnis

Mozarts Œuvre ist nach 60 Jahren wieder nach dem aktuellen Stand der Forschung erschlossen. Der Verlag Breitkopf & Härtel und die Internationalen Stiftung Mozarteum haben die neu erarbeitete Auflage des Werkkatalogs vorgestellt.

Letzte Seite der Arbeitspartitur von Mozarts Requiem, Köchelverzeichnis 626. Quelle: Österreichische Nationalbibliothek / wikimedia commons

Das Köchel-Verzeichnis bietet seit mehr als 160 Jahren einen genauen Einblick in die Werke von Wolfgang Amadé Mozart. Die erste Auflage dieses Werkkatalogs legte Ludwig Ritter von Köchel 1862 bei Breitkopf & Härtel vor. Um das rapide wachsende Wissen über Mozarts Schaffen darzustellen, kam es in der Folge zu mehreren Neuauflagen.

Ursprünglich enthielt das Köchel-Verzeichnis  626 chronologisch geordnete Werke. Der Katalog wurde von Anfang an durch verschiedene Anhänge ergänzt und erweitert. Neuerkenntnisse zur Chronologie der authentischen Werke schlugen sich in den späteren Ausgaben von 1905, 1937 und 1964 in neuen Werknummern nieder. Das hierdurch entstandene Nummernkonstrukt mit unzähligen Querverweisen wurde immer komplizierter.

626 «alte» und mehr als 90 «neue» Nummern

Eine Grundsatzentscheidung bei der Neuauflage war es, die Nummerierung zu vereinfachen. Die verwirrenden Mehrfachnummerierungen wurden rückgängig gemacht. 95 Kompositionen, die in keiner der bisherigen Auflagen einen eigenen Eintrag erhalten hatten, werden mit Nummern ab KV 627 neu gezählt. Eine thematische Übersicht nach Werkgruppen, eine Konkordanz und eine chronologische Übersicht erleichtern den Zugang. Neu strukturierte Anhänge bieten einen Überblick über Mozarts Bearbeitungen fremder Werke, über Kadenzen zu eigenen und fremden Werken sowie über Studien, Unterrichtsmaterial und alle sonstigen musikalischen Aufzeichnungen.

Neue Mozart-Stücke entdeckt

Während der Arbeiten an der Neuausgabe wurden auch neue Werke entdeckt. Seit dem Mozart-Jahr 2006 wurden mehrere Klavierstücke des jungen Mozarts erstmals aufgefunden oder als Werke des jungen Komponisten identifiziert. Darunter befindet sich der erste Konzertsatz Mozarts, der ohne Autorenbezeichnung im sogenannten Nannerl-Notenbuch, dem Klavierbuch seiner Schwester Maria Anna, steht und jetzt als KV 636 verzeichnet ist. Zudem konnte eine Serenate ex C aus der Musikbibliothek der Leipziger Städtischen Bibliotheken als ein Jugendwerk von Mozart verifiziert werden.

Köchel-Verzeichnis online

Die Stiftung Mozarteum stellt zum Verkaufsstart des gedruckten Verzeichnisses von Breitkopf & Härtel die erste Stufe eines neuen digitalen Angebots vor, das einen einfachen und kostenfreien Zugang zum Werk Mozarts und zum neuen Köchel-Verzeichnis ermöglicht: Köchel digital

 

Ludwig Ritter von Köchel: Köchel-Verzeichnis (KV). Thematisches Verzeichnis der musikalischen Werke von W. A. Mozart, bearbeitet von Neal Zaslaw, im Auftrag der Internationalen Stiftung Mozarteum, vorgelegt von Ulrich Leisinger, BV 300, 1 392 Seiten; Einführungspreis bis 31.12.2024: € 459.00, danach € 499.00, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2024, ISBN 978-3-7651-0300-1

Podcast von Breitkopf & Härtel zum neuen Köchel-Verzeichnis

Doppelter Erfolg für die Geschwister Baldenweg

Diego Baldenweg mit Nora Baldenweg und Lionel Baldenweg sind bei den World Soundtrack Awards als erste Schweizer nominiert, und dies in gleich zwei Kategorien.

v. li.: Nora und Diego Baldenweg, Dirigent Dirk Brossé und Lionel Baldenweg bei den Orchesteraufnahmen zu «In the Land of Saints and Sinners». Foto: zVg

Ihre Musik für den Spielfilm In the Land of Saints and Sinners (Regie Robert Lorenz, Hauptrolle Liam Neeson) ist eine Hommage an Irland, Western-Musik und romantische Orchestrierung. Sie spielt mit den typischen Codes eines Westerns und bezieht traditionelle irische Instrumente mit ein. Ein sinfonisches Orchester und ein Chor sorgen für ein mysteriöses 70er-Jahre-Gefühl. Ein wichtiges Erkennungsmerkmal ist die Harmonika, gespielt von «Pfuri» Baldenweg.

Der Film feierte letzten Herbst Weltpremiere in Venedig. Anfang Jahr erhielten die Geschwister bereits an den Movie Music UK Awards eine Nomination für die Kategorie «Score of the Year» (Filmmusik des Jahres). An den World Soundtrack Awards, die als «kleiner Bruder der Oscars» gelten, ist die Musik nun sowohl in der begehrten Kategorie «Discovery of the Year» als auch in der Kategorie «Public Choice», nebst Mitstreitern wie Hans Zimmer (Dune 2), Anthony Willis (Saltburn) und Jerskin Fendrix (Poor Things), nominiert.

Das Advisory Board der World Soundtrack Academy bestehend aus führenden internationalen Filmmusikagenten, Publizisten und Studio Executives, wählt jährlich fünf Komponisten als «Discovery of the Year» (Neuentdeckung des Jahres) aus. Die Baldenwegs haben es als erste Schweizer in diese Runde geschafft.

Die Auswahl der besten Filmmusiken für die Kategorie «Public Choice» (Wahl des Publikums) wird vom internationalen Filmmusik-Kritikerverband (IFMCA) mitbestimmt, worauf Fans und Filmmusikliebhaber global abstimmen. Auch hier haben sie es unter die fünf Nominierten geschafft.

Der Film war 2023 am Zurich Film-Festival zu sehen und ist auf diversen Streamingplattformen zu finden. Die Filmmusik wurde im April 2024 digital veröffentlicht (Sony Music Masterworks). Am 1. Oktober erscheint die physische CD (Caldera-Records).

You-Tube-Clip über die Entstehung der Filmmusik

Abbau beim Instrumentalunterricht an der PH FHNW

An der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz soll der Unterricht am Instrument um fast die Hälfte gekürzt werden. Das wäre ein weiterer Schlag für die Qualität der Schulmusik.

Foto: New Africa/depositphotos.com

Die Pädagogische Hochschule Nordwestschweiz (PH FHNW) plant, den Instrumentalunterricht für die künftigen Lehrkräfte ab dem Herbstsemester 2025 von 1’021 auf 615 Stellenprozente zu reduzieren. Anstelle des von den Studierenden sehr geschätzten Einzelunterrichts soll ein sogenannter Tandemunterricht treten. Die ohnehin schon knapp bemessenen Ausbildungszeit im Fach Musik wird dadurch weiter eingeschränkt.

Lehrpersonen benötigen eine fundierte Ausbildung, um qualitativ hochwertigen Musikunterricht in Kindergarten und Primarschule bieten zu können, wie er in Artikel 67a der Bundesverfassung gefordert wird. Etliche künftige Lehrpersonen haben selber aber nur dürftige, an Oberstufe und Gymnasium zum Teil gar keine Musiklektionen erhalten. Die Differenzierung im Musikunterricht der PH ist daher essenziell, um den individuellen Voraussetzungen und Bedürfnissen der Studierenden gerecht zu werden. Durch die geplante Kürzung wird jedoch genau dies untergraben.

Der VPOD Aargau/Solothurn fordert in einer Petition die politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger der Kantone Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Solothurn und Aargau sowie die Leitung der PH FHNW auf, diese Sparmassnahmen rückgängig zu machen und die finanziellen Mittel wieder vollumfänglich bereitzustellen:

vpod.ch/campa/petition-instrumentalunterricht/

Blick auf Othmar Schoecks Heimat

Das Begleitbuch zum Othmar-Schoeck-Festival 2023 widmet sich vor allem familiären und ortskundlichen Aspekten.

Alexandre Calames Begeisterung für diese Landschaft auf einem Stein im Wald über Brunnen. Foto: SMZ

Als «Le plus beau pays du monde» bezeichnete der Landschaftsmaler Alexandre Calame im 19. Jahrhundert die Gegend um das schwyzerische Brunnen und den Blick auf den Urnersee. Und das erinnert an das Diktum des deutschen Geigers Wolfgang Schneiderhan zu Dreilinden in Luzern: «Der schönste Ort, der je einem Konservatorium gegeben wurde.» Musik und Landschaft scheinen eine Wechselbeziehung einzugehen, sowohl in Brunnen wie in Luzern. Othmar Schoeck hat allerdings nie in Luzern studiert – das Konservatorium wurde erst 1952 gegründet –, sondern in Zürich und Leipzig (bei Max Reger).

Sein Vater, der Kunstmaler Alfred Schoeck, seinerseits Sohn eines wohlhabenden Basler Seidenhändlers, besuchte 1870 Brunnen, heiratete dort die Hotelierstochter Agathe Fassbind und liess sich auf dem «Gütsch» ein Atelier- und Wohnhaus mit dem sinnigen Namen «Villa Ruhheim» bauen. Mit Agathe hatte er die vier Söhne Paul (Architekt und Dramatiker), Ralph (Professor für Maschinenbau und Offizier), Walter (Hotelier in Brunnen und begabter Amateur-Cellist) und den Komponisten und Dirigenten Othmar (1886–1957), das Nesthäkchen.

Othmar und seine Brüder: «vier Elemente»

Der Theaterregisseur Alvaro Schoeck – ein Urenkel des besagten Alfred – und der Musikwissenschaftler Chris Walton, Verfasser einer Dissertation über Othmar Schoeck, haben für das seit 2016 bereits zum fünften Mal stattfindende Othmar-Schoeck-Festival Brunnen von Anfang September 2023 ein Begleitbuch herausgegeben, welches vorab familiäre Aspekte der Schoecks beleuchtet und so Aufschlüsse über Othmars Umfeld und Heimat liefert. Das geht von den launigen Aufzeichnungen des Kinderfräuleins, welches die Schoeck-Söhne als «die vier Elemente» bezeichnet, über das Who is who in Brunnen und Ingenbohl ab 1900 mit dem Titel Othmar ist da! von Katrin Spelinova bis zum novellenartigen Fragment Nachts bei den Brüdern Schoeck des Schwyzer Schriftstellers Meinrad Inglin von 1968.

Die stimmungsvollen Landschafts-Ölbilder auf dem Umschlag und im Buch stammen allesamt von Alfred Schoeck und werden ergänzt durch viele zeitgenössische Schwarz-Weiss-Fotos der Schoeck-Familie.

Le plus beau pays du monde? Othmar Schoecks Umfeld in der Innerschweiz, Begleitbuch zum Othmar Schoeck Festival 2023, hg. von Alvaro Schoeck und Chris Walton, 180 S., Fr. 20.00 (+ Porto), Müsigricht, Steinen 2023, ISBN 978-3-9525658-2-7

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