234 Millionen zu Null – eine Aufgabe für die PGM

Beim Treffen der Parlamentarischen Gruppe Musik vom 28. Februar kamen erstaunliche Zahlen zum Streaming von Schweizer Musik zur Sprache. Sie legen nahe, dass die Politik handelt.

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Neben Stefan Müller-Altermatt, dem Präsidenten der Parlamentarischen Gruppe Musik PGM, waren die Nationalrätinnen Estelle Revaz, Cellistin, und Vroni Thalmann-Bieri, Volksmusikerin, anwesend, als es am jüngsten Treffen der Gruppe um die Benachteiligung von Schweizer Musikerinnen und Musikern auf Streaming-Plattformen ging.

Bei den Pro-Kopf-Ausgaben für Tonträger (sprich: aufgenommene Musik) belegt die Schweiz weltweit Rang 6. 234 Millionen Franken gaben Schweizer Kundinnen und Kunden 2023 dafür aus, davon 88 Prozent für Streaming. Diesem enormen Betrag gegenüber steht die Null: Kein einziger der sogenannten Digital Service Provider (DSP) beschäftigt auch nur einen Angestellten, der sich hauptsächlich um Schweizer Musik kümmert, kein einziger betreibt hierzulande eine Niederlassung. Die Kuratorinnen und Kuratoren bearbeiten den Schweizer Markt nebenher, bei Marktführer Spotify von Berlin aus als «Zugabe» zum zehnmal grösseren Deutschen Markt. Sie kennen sich mit der hiesigen Szene nicht aus, haben auch keine Zeit, sich damit zu beschäftigen. Noch weniger Beachtung finden Acts aus der Romandie und dem Tessin. Dementsprechend kommt Schweizer Musik auf den Playlists, die sie zusammenstellen, auch kaum vor. Die Untervertretung verstärkt sich durch die von Algorithmen auf dieser Grundlage erstellten weiteren Playlists. Es besteht eine deutliche Diskriminierung gegenüber Acts aus vergleichbaren Ländern.

Bisherige Vorstösse von Verbänden in dieser Sache haben nichts gefruchtet. Nun hat Stefan Müller-Altermatt eine Motion eingereicht, die verlangt, dass DSP ab einer gewissen Grösse eine Schweizer Redaktion mit Sitz in der Schweiz haben. Sie wird in einer der nächsten Sessionen von den Räten behandelt.

Ausführlicher Bericht über Schweizer Musik auf dem Streaming-Markt

E-Bass spielen mit dem Plektrum

Das Lehrmittel von Christoph Herder bietet klare Anleitungen und eröffnet neue Klangwelten.

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Im Doppelstockzug gibt es diejenigen, welche immer oben sitzen und die Untensitzenden. Es gibt Migros- und Coop-Kinder. Sogar der Wolf kennt Freunde und Feinde. Viele Aspekte unseres Lebens teilen wir auf in Entweder-oder. Dabei täte uns etwas mehr Diversität enorm gut. Nicht nur als Gesellschaft, sondern auch beim E-Bassspiel. Es sind die kleinen Dinge, die uns das bewusst machen. In diesem Fall ist das kleine Ding etwa 3 mal 3 Zentimeter gross und heisst Plektrum.

Die meisten Bassistinnen und Bassisten spielen ausschliesslich mit den Fingern oder mit dem Plektrum. Die jeweils andere Technik wird schlicht ignoriert, wenn nicht sogar abgewertet. Diese Prägung führte bei mir zu einem regelrechten Erweckungserlebnis, als ich mich mal längere Zeit mit dem Plektrum beschäftigte. Das ist nicht nur eine andere Welt, das ist eine wunderbare Ergänzung zu meinem Spiel. Nur – wie geht das genau? Wie übe ich das richtig und wer hat mir ein paar Ratschläge zum Einstieg?

Wie immer kann mensch selber probieren. Irgendwann klappte das mit dem Feuer, dann wird das mit dem Plektrum auch nicht so schwer sein. Aber mit dem Buch Plektrum Bass von Christoph Herder gelingen Erfolgserlebnisse doch etwas schneller. Dabei wird er nicht kompliziert. Er beleuchtet die Welt des Plektrumspiels in einer seriösen Auslegeordnung, gibt Tipps, ordnet die technischen Aspekte und stellt Übematerial zur Verfügung. Die im Grundsatz einfachen Übungen bauen aufeinander auf und helfen sowohl Einsteigern als auch Umsteigerinnen. Belohnt wird der Übeeinsatz mit faszinierenden (neuen) Klangwelten und einem fundierten technischen Know-how.

Einziger Nachteil: Noch sind Lehrmittel für Plektrum-Bass charmante Nischenprodukte. So auch dieses, welches aus dem Jahr 2020 stammt und dessen dazugehörige MP3-Files auf einer CD mitgeliefert werden. Doch wer irgendwo noch ein Laufwerk auftreiben kann, dem stehen auch die knackigen Play-along-Grooves zur Verfügung.

Christoph Herder: Plektrum Bass für Vier- und Fünfsaiter, Alles, was du zur Plektrumtechnik wissen musst!, mit CD und Plektrum, 128 S., Best.-Nr. 20287G, € 23.95, Alfred Music, Köln

Bläserquintette aus dem 20. Jahrhundert

Das Art’Ventus Quintet spielt Werke von Paul Mieg, Paul Huber, Gion Antoni Derungs und Paul Juon.

Art’Ventus Quintet, v. li: Raquel Saraiva, Tiago Coimbra, Horácio Ferreira, Paula Soares, Nuno Vaz. Foto: zVg

Schweizer Komponisten haben für das 1955 gegründete Stalder-Quintett unzählige Bläserquintette komponiert, aber nicht diejenigen, die das Art’Ventus Quintet auf seiner neuen CD aufgenommen hat. Das aus einigen der besten jungen portugiesischen Musikerinnen und Musikern bestehende Ensemble spielt erst seit drei Jahren zusammen, hat aber bereits ein sehr hohes Niveau erreicht. Die Flötistin und der Oboist haben in der Schweiz studiert. Für ihr Programm Swiss Treasures haben sie sich für Werke von Peter Mieg, Paul Huber, Paul Juon und Gion Antoni Derungs entschieden; die ersten beiden sind Ersteinspielungen. Die grafisch ansprechende CD enthält auch einen interessanten Booklettext von Dominik Sackmann.

Wenn Goethe über das Streichquartett sagte, dass man vier vernünftige Leute sich unterhalten höre, sollte das eigentlich trotz etwas grösserer Besetzung auch für ein Bläserquintett gelten. Bei Peter Miegs Quintett, das 1977 beendet wurde, hat man eher das Gefühl, dass alle ständig reden und niemand die anderen zu Wort kommen lässt. Ein Blick in die Partitur zeigt denn auch, dass die meiste Zeit alle fünf Instrumente gleichzeitig spielen, was wirklich ein Schwachpunkt der Komposition ist. Die Satzanfänge klingen vielversprechend, aber das Interesse erlahmt schnell, weil die Musik unglaublich repetitiv ist.

Bedeutend besser gelungen sind die Quintette von Paul Huber, zu seinen Lebzeiten eine musikalische Institution in St. Gallen, und Gion Antoni Derungs, der ein wichtiger Vertreter der Bündner Musik war. Beide Werke, 1963 bzw. 1977 komponiert, halten an der Tonalität fest, was aber aus heutiger Optik kein Merkmal mangelnder Aufgeschlossenheit oder Qualität sein kann. Das portugiesische Quintett identifiziert sich hörbar mit den Stücken und gewährleistet ideale Aufführungen. Das Werk von Huber besteht aus einem expressiven, melancholischen Adagio und einem virtuosen Scherzino, in dessen Trio man Ferdinand Fürchtegott Hubers Volkslied Luegid vo Berg und Tal unschwer erkennen kann. Derungs’ Divertimento, etwas moderner als die anderen Stücke auf der CD und stilistisch schwierig einzuordnen, ist, entgegen dem Titel, kein besonders heiteres Stück und erschliesst sich vielleicht nicht beim ersten Hören.

Konditoren aus dem Kanton Graubünden waren in ganz Europa erfolgreich und kamen oft zu beachtlichem Wohlstand, wovon Villen von Zurückgekehrten im Puschlav und Bergell Zeugnis ablegen. Paul Juon, in Moskau geboren, war Sohn eines Bündner Zuckerbäckers aus Masein. Er erhielt eine fundierte musikalische Ausbildung und studierte bei Anton Arenski und Sergei Tanejew Komposition. Er selbst lehrte später an der Berliner Musikhochschule, bevor er die sechs letzten Jahre seines Lebens in Vevey verbrachte. In seiner Musik wird man Schweizer Spuren vergeblich suchen, aber Kontakte zum Schweizer Musikleben gab es. So ist das hier eingespielte Bläserquintett op. 84 von 1928 dem langjährigen Präsidenten des Bernischen Orchestervereins Jakob Vogel gewidmet.

In den Zwanzigerjahren entstanden einige der bekanntesten und meistgespielten Bläserquintette, so etwa diejenigen von Paul Hindemith, Carl Nielsen, Hanns Eisler, Arnold Schönberg und Jacques Ibert. Juons Quintett kann den Vergleich mit diesen Werken mühelos aushalten. Es ist handwerklich untadelig gearbeitet, kraft- und fantasievoll, harmonisch oft kühn und fordert jedes Instrument heraus. Die Neuaufnahme des Art’Ventus Quintet ist zwar sehr energiegeladen, der erste Satz wird aber merklich zu langsam gespielt, was ihm zuviel Erdenschwere verleiht. Die Dynamik hätte an einigen leiseren Stellen besser respektiert werden müssen, da es der Interpretation noch etwas mehr Relief verliehen hätte.

Insgesamt ist Swiss Treasures eine empfehlenswerte CD, da sie Werke etwas weniger bekannter Schweizer Komponisten dokumentiert.

Swiss Treasures. Chamber Music for Wind Quintet. Art’Ventus Quintet (Paula Soares, Flöte; Tiago Coimbra, Oboe; Horácio Ferreira, Klarinette; Nuno Vaz, Horn; Raquel Saraiva, Fagott). Prospero PROSP0081

 

Die Musik der Aneignung

Mit Karte, Uhr und Partitur im Zentrum seiner Betrachtungen schreibt Johannes Schöllhorn über Eroberung und die dazugehörige Musik.

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In seiner Musik hat sich der deutsche Komponist Johannes Schöllhorn (*1962) immer wieder mit der Musik anderer beschäftigt, hat sie transkribiert und transformiert, hat Musik über Musik gemacht, so über Bach und Ravel, Purcell und Satie und wunderbar über Gabriel Fauré. Mehrere dieser Stücke finden sich auf der Doppel-CD Sérigraphies (bastille musique 20).

Schöllhorn ist also selber ein Experte des Sich-Aneignens und Sich-Anwandelns. Um die Dialektik dieses Vorgehens geht es auch in seinem 500 Seiten starken Buch, einer teilweise losen und doch innerlich konsistenten Sammlung von kürzeren Texten. Die Eroberung der Welt steht dabei im Zentrum sowie ihre Begleitmusik, die immer auch eine der Aneignung, ja des Diebstahls war – und eine des Ordnens: Deshalb spielen Karte, Uhr und Partitur im Titel die Hauptrolle.

Unsere europäische Kultur hat sich mit Hilfe dieser Instrumente den Globus zu eigen gemacht. Diesen Spuren folgt Schöllhorn, zum Buchdruck und über die Meere, in die Malerei und in die Kompositionstechnik, in die Vergangenheit wie in eine Zukunft. Und weil er einen breiten Horizont hat, kann man mit ihm enorm viel lernen. Das Buch scheint schnell geschrieben und liest sich auch schnell. Diese Spontaneität ist erfrischend, voller Verve, manchmal packt den Autor die Wut, manchmal verwildern und verwirren die Gedanken, denn Schöllhorn wagt sich mithilfe guter Sekundärliteratur auf fremdes Terrain.

Das Ganze ist unsystematisch, bündelt nicht, sondern legt Fäden aus, die man zu einem Kernpunkt zurückverfolgen könnte. Ein paar Lücken möchte man gerne schliessen, anderes genauer wissen, und oft hat man beim Lesen Einwände, viele sogar, aber die sollen einem recht sein. Denn das Buch ist anregend – und es lässt uns bei allen Zweifeln und Verzweiflungen nicht hoffnungslos, denn «eines kann Musik immer – uns trösten».

Johannes Schöllhorn: Karte, Uhr und Partitur. Variationen und Volten über Eroberung und ihre Begleitmusik, hg. von Rainer Nonnenmann, 512 S., € 24.00, MusikTexte, Köln 2022, ISBN 978-3-982467-0-2

Doppel- und tripelbödige Musik

Auf «Chrome Shuffle» spielt Niklaus Keller mit acht Mitmusikern elf Stücke, jedes eine kleine Kurzgeschichte.

Niklaus Keller in Bologna. Foto: zVg

Niklaus Keller kennt keine Berührungsängste. Das Werkverzeichnis des Perkussionslehrers, der unter Hans U. Lehmann in Zürich und Paul Glass am Konservatorium von Lugano Komposition studierte, beginnt im Jahr 1994 mit einem Ländler-Fox für Marimba, E-Gitarre, Drum-Set, Vibrafon, Melodica und E-Bass. Seine letzten drei über Bandcamp erhältlichen Werke bewegen sich von kirchlich-mysteriösen Chorgesängen über ein heiter rauschendes Sicerto für Streichorchester bis hin zur Country & Western-Persiflage White Coffee.

Chrome Shuffle – ein Zyklus von elf Stücken für ein Nontett mit Vibrafon, E-Bass, E-Gitarre, Drums, Trompete/Flügelhorn, Tenor-Saxofon, Posaune und zwei Synths/Samplers (einer davon von Keller selber bedient) – ist wiederum eine gänzlich andere «kettle of fish». Die Idee dahinter sei es gewesen, Stücke zu schreiben, welche spieltechnisch keine grossen Anforderungen stellten, «um sich so möglichst schnell der Musik als solcher widmen zu können, ohne dass technische Schwierigkeiten die Performance» störten, erklärt der in Bologna wirkende Komponist. Gleichzeitig notierte er indes auch die Soli aus, «denn improvisierte Soli tönen in den meisten Fällen genormt und standardisiert».

Die Resultate – jedes Stück eine klingende Kurzgeschichte – sind ungemein schwierig zu beschreiben. Vibrafon und Bläser prägen die durchwegs herzliche Stimmung, die rockigen, funkig angehauchten Rhythmen, Breaks und Haken ziehen mit, die Melodik erinnert dieses Ohr aus eher unerfindlichen Gründen an die Musik von britischen Exzentrikern wie Kevin Ayers, Lol Coxhill oder Art Bears. Fazit: doppel- und tripelbödige Musik, die an vieles erinnert, dabei aber kompromisslos sich selber bleibt.

Niklaus Keller: Chrome Shuffle. Bandcamp

 

Mit zwei Gitarren durch viele Stile

Leichte und mittelschwere Duette von Mozart bis Queen, klug arrangiert von Michael Langer.

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Der österreichische Gitarrist, Musikpädagoge und Herausgeber Michael Langer hat die Reihe «Saitenwege» aus der Edition Dux um zwei weitere Notenbücher bereichert, diesmal mit insgesamt 88 Stücken für zwei Gitarren. Die Alben entsprechen in ihrem Aufbau genau den Ausgaben Der sehr leichte Einstieg und Der leichte Einstieg in die Welt der klassischen Gitarre aus dem Jahr 2009. Aus jedem der Stilbereiche Renaissance, Barock, Klassik, Romantik, Multikulturell und Pop werden pro Band zwischen fünf und elf mehr oder weniger repräsentative Stücke präsentiert. Einziger Unterschied, abgesehen von der Duobesetzung: Statt den Kategorien «sehr leicht» und «leicht» sind die beiden Bände den Kategorien «leicht» und «mittelschwer» zugeordnet.

Michael Langer geht mit dem musikalischen Material frei um, mit einem guten Gespür für einen sinnvollen Mittelweg zwischen Originaltreue und technisch einfach zu realisierender Interpretation. Die meisten Stücke sind von ihm neu eingerichtet. So begegnen wir nicht nur typischen Gitarrenstücken, sondern zum Beispiel auch Ausschnitten aus Vivaldis Vier Jahreszeiten oder Mozarts Zauberflöte. Nur wenige Duos – etwa von Maria Linnemann – erscheinen im originalen Notentext, und einige Arrangements waren ursprünglich Solostücke.

Innerhalb der stilistischen Bereiche sind die Stücke tendenziell in progressivem Schwierigkeitsgrad angeordnet. Ein Schwerpunkt liegt, insbesondere im zweiten Band, auf lateinamerikanischen Nummern vom einfachen Bailecito bis zum Libertango von Astor Piazzolla. Im Bereich Pop gibt es echte Hits, von Queen, George Ezra oder Ed Sheeran inklusive Happy von Pharrell Williams. Wer nicht weiss, wie das im Endeffekt auf zwei klassischen Gitarren tönen soll, kann alle Einspielungen des Herausgebers mit einem Download-Code herunterladen oder auf Spotify anhören.

Michael Langer: Saitenwege für zwei Gitarren. Sechs Jahrhunderte Gitarrenmusik für Gitarrenduo; Bd. 1, leicht, D 918; Band 2, mittelschwer, D 919; je € 29.80, Dux, Manching

Klingende Tafel

Im Gegensatz zu anderen Kompositionen Bibers ist diese Kammermusik einfach und in der vorliegenden Ausgabe für zwei verschiedene Besetzungen eingerichtet.

Heinrich Ignaz Franz Biber, Kupferstich oder Radierung von Paul Seel, 1680. Digitaler Portraitindex

1680 schrieb Heinrich Ignaz Franz Biber (1644–1704) sechs Suiten als Tafelmusik für seinen Brotherrn, den Fürsterzbischof Maximilian Gandolf von Kuenburg in Salzburg. Sie sind bewusst nicht zu schwierig, in klaren Formen und verzichten auf virtuose «Showeffekte» – im Gegensatzt zu den meisten von Bibers Instrumentalwerken.

Die vorliegenden zwei ersten Partiten sind vom Herausgeber mit heutigen Notenschlüsseln und Taktangaben versehen. In der Partita I umschliesst eine Largo-Sonata die Tanzsätze Allemanda, Courante, Sarabanda, Gavotte und Gigue. In der Partita II eröffnet eine Intrada drei Balletti im Alla-Breve-Takt, die von zwei ruhigen Sarabanden getrennt sind. Da die erste Viola nie die C-Saite beansprucht, gibt es dafür eine zusätzliche zweite Violinstimme, also könnten diese Suiten gut mit einem Streichquartett (-orchester) und Continuo gespielt werden.

Heinrich Ignaz Franz Biber: Mensa Sonora, Partiten I und II, für Violine, 2 Violen (2 Violinen, Viola) und Basso continuo, hg. von Markus Eberhardt, EW 1051, € 19.80, Walhall, Magdeburg

 

 

Erfreuliche Entdeckung für Klaviertrio

Die Pianistin Katharina Sellheim hat die Klaviertrios von Emilie Mayer, unter anderem das grosse Es-Dur-Trio, nicht nur eingespielt, sondern auch erstmals herausgegeben.

Emilie Mayer. Lithographie Eduard Meyer nach einer Zeichnung von Pauline Suhrlandt um 1900. Wikimedia commons

Emilie Mayer (1812–1883) war eine erfolgreiche Komponistin in ihrer Zeit. Sie lebte in Mecklenburg und Berlin. Zu ihrem Werk gehören Sinfonien, Konzertouvertüren, ein Singspiel, vierstimmige Chorstücke, Klavier- und Kammermusik. Trotz Aufführungen in zahlreichen europäischen Metropolen des 19. Jahrhunderts blieben die meisten ihrer Kompositionen ungedruckt.

Die Pianistin Katharina Sellheim stiess auf die unveröffentlichten Manuskripte der vier Klaviertrios und spielte drei davon mit ihrem Klaviertrio Hannover auf CD ein (Missing Link: Emilie Mayer, Genuin 22790). Jetzt betreut sie, assistiert von den Mitgliedern ihres Ensembles, die Herausgabe beim Furore-Verlag Kassel.

Ihr Einsatz lohnt sich: Emilie Mayers Klaviertrios strahlen Frische und Lebensmut aus; die Komponistin beherrschte ihr Handwerk. Stilistisch liegt diese Musik zwischen Beethoven und Mendelssohn. Wer, spielend oder hörend, abseits der Hauptsäulen des Repertoires und der «grossen» Meister auf Schatzsuche geht, wird mit dem Klaviertrio Es-Dur eine erfreuliche Entdeckung machen. Werke von Komponistinnen des 19. Jahrhunderts sind zudem selten in Konzertprogrammen anzutreffen. Zu Unrecht, wie Emilie Mayer uns hier zeigt!

Spieltechnisch ist dieses Klaviertrio auch für erfahrene Amateure erreichbar. Es liegt im Schwierigkeitsgrad unter den Werken von Beethoven und Schubert. Alle Instrumente, vor allem auch das Violoncello, können sich schön entfalten.

Emilie Mayer: Klaviertrio Es-Dur, für Violine, Violoncello und Klavier, hg. von Katharina Sellheim, Partitur und Stimmen, fue 10346, € 69.00, Furore, Kassel

Alte Schwyzer Tanzmusik

Die Geigentänze im Tanzbuch von Anton Hotz bieten zugleich Spielvergnügen und Einblick in die Entwicklung der Tanzmusik in der Schweiz.

Tanzpaar aus dem Kanton Schwyz, 1809, Druckgrafik von Franz Niklaus König. Schweizerische Nationalbibliothek, GS-GUGE-KÖNIG-12-8

Im Müliradverlag ist ein weiteres interessantes Notenheft erschienen für Geige oder andere Melodieinstrumente. Es überliefert Volkstanzmusik aus dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts und bietet damit Einblick in die Frühzeit der Paartanzmusik; die bisher bekannten Sammlungen stammen fast alle aus späteren Jahrzehnten.

Das Heft umfasst hundert Tänze, die meisten davon im Dreivierteltakt. Die Entdeckung der Sammlung ist der Herausgeberin Brigitte Bachmann-Geiser zu verdanken. Über den ursprünglichen Besitzer Anton Hotz ist nichts bekannt, Bachmann lokalisiert die Tänze aber aufgrund ihrer immensen Kenntnis der Quellen glaubhaft in der Gegend Höfe/March im Kanton Schwyz.

Co-Herausgeber Christoph Greuter hat die Tänze transkribiert und mit Akkordangaben versehen, die für die Begleitung von grossem Nutzen sind. Man merkt, dass Greuter ein hervorragender Kenner der Materie ist. Die Tänze sind praxisorientiert aufgeschrieben, ohne Verzierungen und ohne ersten und zweiten Schluss bei den Wiederholungen. Es war in der Zeit dem Gusto der Spielenden überlassen, die Stücke ansprechend zu gestalten. Die Noten waren bloss Vorlage oder Erinnerungshilfe für die individuelle Ausführung.

Die Stücke sind attraktiv zu spielen, weil die Tonsprache der frühen Tänze deutlich abweicht von denen um die Wende zum 20 Jahrhundert. Zum Teil sind noch modale Einflüsse vorhanden, die später der Kadenzharmonik weichen. Das Heft bietet aber auch historisch interessante Aufschlüsse: Die Hälfte der Tänze ist noch zweiteilig, die andere Hälfte bereits dreiteilig. Die Bezeichnung «Ländler» taucht bei einigen Tänzen auf und ist somit der früheste Beleg für die Verwendung des Begriffs in der Schweiz, andere werden als «Walz» oder «Walzer», manche auch als «Langus» bezeichnet. Die wenigen Zweiviertel-Tänze sind mit «Allemander» oder «Allimand» überschrieben; «Polka», «Galopp» oder «Schottisch» tauchen hingegen noch nicht auf.

Das mit aufschlussreichen Angaben zur Herkunft und Edition ergänzte Heft ist also nicht bloss ein Spielvergnügen, sondern auch eine ergiebige Quelle für die Entwicklung der Tanzmusik in der Schweiz.

Alte Schwyzer Geigentänze – Das Tanzbuch von Anton Hotz, Höfe/March um 1830, hg. von Christoph Greuter und Brigitte Bachmann-Geiser, Mülirad-Nr. 1069, Fr. 38.00, Mülirad, Altdorf

Blattlesen

Das Heft «Blattspieltraining von Anfang an» hat die musikalische Selbständigkeit zum Ziel. Dem aktiven Hören kommt dabei grosse Bedeutung zu.

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In der Reihe «Tastenforscher» ist im Holzschuhverlag eine weitere wertvolle Publikation erschienen. Guido Klaus weiss als Korrepetitor und Kapellmeister um die Bedeutung der Fähigkeit, vom Blatt zu spielen. Als Pädagoge setzt er sich dafür ein, dass das Blattspiel von Anfang an mit einbezogen wird, um das Spiel nach Ohr und das Lernen durch Nachahmung zu unterstützen. Dabei verfolgt er das Ziel, die Lernenden zu einer oft fehlenden musikalischen Selbständigkeit hinzuführen.

Das Heft ist klar strukturiert und in der Progression geschickt aufgebaut. Mir gefällt, dass Klaus zuerst den grossen Noten-Tasten-Überblick gibt und mit den Noten C und G gleich die ganze Tastatur mit Leseübungen ohne festen Puls erkunden lässt. Das Erkennen von kleinen Tongruppen in Kombination mit dem fliessenden Vorauslesen des nächsten Anfangstones soll das zusammenfassende Lesen als Grundfertigkeit fördern. Ergänzend dazu gibt es Abschnitte mit blossem Rhythmustraining, bevor dann Tonhöhe und Rhythmus in kleinen einstimmigen, später zweistimmigen Melodien zusammengefügt werden.

Eine weitere Basiskompetenz für flüssiges Lesen ist das Erkennen und Greifen von einzelnen Intervallbildern und Dreiklängen. Dazu gibt es zahlreiche Übungsbeispiele und Notenrätsel. Nach der theoretischen Einführung der Versetzungszeichen sollen sie in Tonleitern nach Gehör gesetzt werden. Die Bedeutung des aktiven Hörens für das Blattlesen kann nicht genug betont werden.

Dieses Heft wendet sich wohl eher an ältere Kinder und Jugendliche und eignet sich auch im Unterricht bestens als Eröffnung, als Rhythmisierung oder für «faule Wochen», in denen nicht genug geübt werden konnte.

Guido Klaus: Tastenforscher, Blattspieltraining von Anfang an, VHR 3418, € 14.80. Holzschuh, Manching

 

 

Allein mit Bach in romanischen Kirchen

Bernhard Maurer hat Bachs Cellosuiten in Kirchen rund um Thun in Ton und Bild aufgenommen und die Filme online gestellt: Helle und dunkle Klänge in hellen und dunkleren Räumen.

Bernhard Maurer spielt in der Kirche Blumenstein. Videostill

Es gibt kaum eine andere Musik, aus der so schwer Musik zu machen ist. Johann Sebastian Bachs Cellosuiten sind eine Herausforderung – und nicht wenige sind daran schon gescheitert. Viele Aufnahmen der Suiten klingen spröde, ohne Bögen, durchbuchstabiert von Ton zu Ton. Bernhard Maurer erhöht das Risiko, indem er alle sechs Suiten live einspielt. Dies nicht im Studio, sondern in mittelalterlichen Kirchen rund um Thun. «Immer wenn ich die Gelegenheit hatte, eine Bachsuite in einer romanischen Kirche zu spielen, schien es mir, dass hier der ideale Raum für diese Musik ist, auch wenn die Musik ein halbes Jahrtausend nach dem Bauwerk entstanden ist», begründet Maurer. Und so sind keine Tondokumente entstanden, sondern sechs Filme in hellen und dunkleren Kirchenräumen, die über die Website bachsuiten.ch als Youtube-Link abgerufen werden können.

Da wäre die Aufnahme der sechsten Cellosuite in der Kirche Blumenstein. Vor leeren Rängen spielt Maurer auf einem fünfsaitigen Violoncello Piccolo, 2012 erbaut von Stephan Schürch nach einem Vorbild von Nicolò Amati. Nicht so domestiziert wie das moderne Cello klingt das Instrument barocker Provenienz, dafür aber heller, vielleicht auch ehrlicher. Maurer spielt nicht nur traumwandlerisch sicher, sondern auch mit klarem, vibratoarmem Ton und einem ausgesprochenen Sinn für Klangfarben und Dynamik. Die intime Anlage, das Alleinsein in der Kirche, unterstreicht den privaten Charakter der Suiten. Verschiedene Kameraeinstellungen zeigen mal das virtuose Fingerspiel der linken Greifhand, mal den Bogen in Grossaufnahme, auch die farbigen Kirchenfenster oder die Totale mit Maurer im Mittelpunkt der Kirche. Jene bachsche Konzentration aufs Wesentliche hätte den Filmen gutgetan; manchmal wirken die Perspektivwechsel unnötig hektisch und nehmen der Musik die Ruhe.

Dunkler, auch klanglich gewohnter klingt die dritte Suite, filmisch eingefangen in der kargen Schlosskirche Spiez. Hier spielt Bernhard Maurer auf einem gebräuchlicheren Barockcello aus der Schule von Giovanni Battista Maggini. Wieder ist zu spüren, dass sich Maurer jahrzehntelang mit den Suiten beschäftigt hat. Da gibt es keinerlei Intonationsunsicherheiten, die Tempi wirken natürlich, keine Gigue, die andere schon mal zum oberflächlichen Virtuosenstück machen.

Also: Es lohnt sich, die Website zu besuchen, die nebst den Links auch gute Hintergrundinformationen bietet. Ganz furchtbar sind natürlich die bei Youtube üblichen Werbeunterbrechungen – vielleicht kann man da mal was tun und die Filme direkt auf der Seite verlinken? Gerade diese sensiblen Werke können nun wirklich keinen schreienden Kommerz gebrauchen.

bachsuiten.ch

Ein musikalischer Vulkan

Danuta Gwizdalanka hat den Lebensweg der Pianistin und Komponistin Maria Szymanowska nachgezeichnet.

Maria Szymanowska, Zeichnung von unbekannter Hand. Wikimedia commons

Goethe – soviel musikalische Autorität sei ihm hier eingeräumt – war von ihrem Spiel ergriffen, aber auch von ihrer Ausstrahlung und schrieb ihr ein Gedicht ins Stammbuch, das mit den Worten endet: «Da fühlte sich – o dass es ewig bliebe! – /das Doppelglück der Töne wie der Liebe.» Die Begegnung mit der polnischen Pianistin Maria Szymanowska hatte ihn tief bewegt: «Das Talent würde einen erdrücken, wenn es ihre Anmuth nicht verzeilich machte.» [sic] Das war 1823 in Marienbad, und naturgemäss vernimmt man in solchen Äusserungen heute all die Untertöne damaligen Genderverständnisses. Eine Künstlerin, die sich so frei in der Welt bewegte, erstaunte (man könnte ihr allenfalls Hélène de Montgéroult zur Seite stellen), und das führte denn zu Beschreibungen wie dem «weiblichen Vulcan» und der «Königin der Töne».

Die polnische Musikwissenschaftlerin Danuta Gwizdalanka, die mit ihrem Mann, dem Komponisten Krzysztof Meyer, eine Biografie über Witold Lutosławski veröffentlicht hat, ist eine profunde Kennerin der polnischen Musik, und sie nähert sich Szymanowska in ihrem Porträt ebenso bewundernd wie behutsam und unaufgeregt. Sie stellt ihre Werke mit kritischem Blick vor und verweist auf Einzelheiten. Entstanden ist aber weder ein musikologisches Buch noch eine sentimentale Lebensbeschreibung. Als eine «bezaubernde, aufgeklärte und pragmatische Frau» wird Szymanowska geschildert. Allzu früh ist sie mit 41 Jahren gestorben, an der Cholera, einem Hirnschlag oder an der Übermüdung, vielleicht an allem zusammen.

Gwizdalanka erzählt diese Biografie aus den Zeugnissen und Details eines reichen gelebten Lebens. Szymanowska, die sich früh von ihrem Gatten trennte, war eigen- und selbständig, reiste viel, wurde in ganz Europa gefeiert. Wie es ihr dabei erging, aber auch, wie sie dabei den Alltag meisterte, begleitet oft von Geschwistern und Kindern, gibt einen tiefen Einblick in die Lebensweise. Das Buch schliesst eine gravierende Lücke, was die damals durchaus vorhandene, aber leider nicht anhaltende Rezeption von Komponistinnen angeht.

Danuta Gwizdalanka: Der «weibliche Vulcan». Die Pianistin und Komponistin Maria Szymanowska, aus dem Polnischen von Peter Oliver Loew, 176 S., € 19.80, Harrassowitz, Wiesbaden 2023, ISBN 978-3-447-11913-9

Klassiker und Kuriosa

Sarah Rumer und Ulrich Koella begeben sich auf die Reise mit tschechischer Musik für Flöte und Klavier.

Die Flötistin Sarah Rumer. Foto: zVg

Wer beim Stichwort tschechische Kammermusik vorab an solche für Streichinstrumente denkt, sollte nicht übersehen, dass eine der meistgespielten Flötensonaten von einem tschechischen Komponisten stammt. Zusammen mit den Sonaten von Poulenc und Prokofjew zählt die 1945 im amerikanischen Exil entstandene von Bohuslav Martinů zu den beliebtesten Repertoirestücken. Die lange Kette von Einspielungen wird jetzt durch eine schweizerische Produktion erweitert, die aufhorchen lässt. Mit der in Zürich geborenen Soloflötistin des Orchestre de la Suisse Romande, Sarah Rumer, und dem an der Zürcher Hochschule der Künste lehrenden Pianisten Ulrich Koella legt das Zürcher Label Prospero unter dem Motto Slavonic Journey eine CD vor, die nebst Standardwerken auch wenig bekannte Kuriosa anbietet.

Schon Martinůs Meisterwerk erfährt eine bewundernswerte Interpretation. Nebst weit gespannten Atembögen in flinken Sechzehntelpassagen stechen die mit feinstem Rubato gespielten, pianissimo hingehauchten Übergänge von vertikalen Partien zu horizontal-linearen hervor. Den musikantischen Ecksätzen der Sonate von Jindřich Feld bleiben die Flötistin und der Pianist nichts an Brillanz schuldig. In Felds Quatre pièces für Soloflöte zitiert die «Hommage à Bartók» aus dessen Concerto for orchestra. Erwin Schulhoffs wieder häufig anzutreffende Sonate lädt das Duo mit der nötigen Spielfreude an den vielen Ostinati und harmonischen Reibungen auf.

Durch ihre Heirat mit dem Schriftsteller Jiří Mucha, dem Sohn des Jugendstilmalers Alfons Mucha, wurde die Londoner Komponistin Geraldine Thomson tschechische Staatsbürgerin und darum in diese Produktion aufgenommen. Ihr Naše cesta (Unsere Reise) betitelter Beitrag zeichnet sich durch Eleganz und volksliedhafte Melodik aus. Dem Reisethema tragen im einfallsreich gestalteten Booklet diverse Fotos des Prager Hauptbahnhofs Rechnung.

Der ins Bläsersextett Mládí (Jugend) integrierte, schrill repetierende Marsch der Blaukehlchen von Leoš Janáček für Piccolo und Klavier leitet seinen vermeintlich ornithologischen Titel von blauen Chorknabenuniformen ab. Mit Sarah Rumers kurioser Übertragung der Slawischen Fantasie von Fritz Kreisler erklingt die Transkription einer Transkription, setzt sich letztere doch aus Kreisler Bearbeitung zweier Themen von Dvořák zusammen.

Slavonic Journey (Martinů, Feld, Schulhoff, Mucha, Janáček, Dvořák/Kreisler). Sarah Rumer, Flöte; Ulrich Koella, Klavier. Prospero PROSP0049

Ein spätberufener Romantiker

Das Oratorium «Vergehen und Auferstehen» von Fritz Stüssi ist zusammen mit anderen Chorwerken auf CD erschienen. – Ein Dokumentarfilm über den Komponisten ist auf Youtube greifbar.

Fritz Stüssi, undatiertes Foto. Wikimedia commons

Fritz Stüssi (1874–1923) wäre, wie so viele Schweizer Komponisten dieser Generation, längst vergessen, würde sich nicht sein Enkel Ulrich Stüssi mit Enthusiasmus und Engagement für den Vorfahren einsetzen. Stüssi war ein «Zürcher Gewächs», besuchte dort die Musikschule; Lothar Kempter und Fritz Hegar waren seine Lehrer. In Berlin kam später Max Bruch dazu. Von seinem Wohnort Wädenswil aus beherrschte Stüssi die musikalische Landschaft am Zürichsee lange und nachhaltig.

Er hinterliess ein umfangreiches Œuvre, das stark in romantischer Tradition verwurzelt ist. Sein Augenmerk lag vor allem auf kirchlichen Werken wie Kantaten und Motetten. Die Noten werden in der Zentralbibliothek Zürich aufbewahrt.

Als sein bedeutendstes Werk gilt das 1914 in Wädenswil uraufgeführte, rund dreissigminütige Oratorium Vergehen und Auferstehen, das nun bei Claves zusammen mit dem Psalm 28 sowie weiteren kurzen Stücken herausgekommen ist. Ein Dramatiker war Stüssi nicht, vielmehr ein stark in protestantischer Religiosität verankerter Komponist, der sich mutig seinen Vorbildern stellte. So beginnt er sein Oratorium mit «Alles Fleisch ist wie Gras», das Brahms im Deutschen Requiem zu einem der anrührendsten Sätze gemacht hat. Bei Stüssi ist es der Bass, der nach wenigen orchestralen Einleitungstakten mit einem bewegenden Rezitativ beginnt. Das Vorbild Mendelssohn mit dem Elias ist unüberhörbar, der schreitende Duktus erinnert zudem stark an Wagners Parsifal. An den verheissungsvollen Anfang vermag Stüssi aber nur bruchstückweise anzuschliessen.

Über weite Strecken beherrschen die Solisten rezitativisch das Geschehen, was zuweilen etwas gleichförmig wirkt, und dies, obwohl insbesondere die tiefen Stimmen mit Ingeborg Danz (Alt) und Krešimir Stražanac (Bass) formidabel besetzt sind. Grossartig auch, wie die Zürcher Sing-Akademie unter Florian Helgath die Chorpassagen mit hervorragender Gesangskultur zelebriert.

Schade, wird die CD durch weitere kleine Chorstücke in ähnlicher Manier ergänzt, was beim Hören etwas ermüdet. Stüssi hat durchaus auch anderes zu bieten, wie etwa eine c-Moll-Suite, welche das Avalon-Quartett schon gespielt hat.

Red. Einblick in Leben und Werk bietet der dokumentarische Kurzfilm Fritz Stüssi – Wo du hingehst von Esther Kempf und Julia Ann Stüssi, zu sehen auf Youtube. Über 30 der 134 Werke sind digitalisiert und über den Musikverlag Musica Mundana erhältlich.

Fritz Stüssi: A Swiss Romantic. Zürcher Sing-Akademie, Zürcher Kammerphilharmonie, Leitung Florian Helgath. Claves 50-3085

 

Streichung auf Veranlassung von Verena (Mail 12.1.24)

Atmosphärische Ausflüge mit Cello und Örgeli

Auf ihrem zweiten Album machen sich der Luzerner Albin Brun und die Bernerin Kristina Brunner daran, ihre jeweilige Musik weiter miteinander zu verschmelzen – mit berauschendem Resultat.

Kristina Brunner und Albin Brun. Foto: © Markus Wild

Obschon Albin Brun (*1959) und Kristina Brunner (*1993) unterschiedlichen Generationen entstammen, fühlen sie sich einer gemeinsamen Vision verpflichtet: Sowohl der Luzerner als auch die Bernerin sind darauf erpicht, die Schweizer Volksmusik konstant weiterzuentwickeln. Während der mit dem Schweizer Musikpreis 2017 ausgezeichnete Brun als eine der Schlüsselfiguren zwischen Jazz und zeitgenössischer Volksmusik gilt, hat sich Brunner dank ihrem virtuosen Spiel auf Cello und Schwyzerörgeli einen Namen geschaffen.

Nachdem sich die beiden an der Hochschule Luzern – Musik kennengelernt hatten, begannen sie 2017, gemeinsame Sache zu machen. Dies, indem das Duo wöchentlich probt, hierbei dichte Klangpoesie entwickelt und mit prächtig ausgefeilter Kammermusik aufwartet. Auf ihr Debüt von 2020, Midnang, lassen Brun und Brunner jetzt Innerland folgen. Ein aus 13 Eigenkompositionen zusammengesetztes Album, das nebst reduzierter Instrumentierung auch atmosphärische Ausflüge und stetig variierende Melodien offeriert.

Zwar präsentiert sich der Opener Fex zunächst lüpfig, doch rasch einmal widmet sich das Stück besinnlicheren Motiven, die insbesondere von einer namenlosen Sehnsucht angetrieben scheinen. In Liedern wie Shovidar! oder Aube zeigt sich zudem, dass Fern- und Heimweh hier spätestens um die nächste Ecke lauern. Daraus ergibt sich ein Stimmungsbild, das melancholisch bis träumerisch wirkt und durchgängig zu berühren vermag.

Brun und Brunner machen sich einen Spass daraus, wechselnde Instrumentenkombinationen einzusetzen: Mal umspielen sich Cello und Örgeli, an anderer Stelle ködern sich zwei Örgeli gegenseitig. Das Ergebnis überzeugt. Schratteflue etwa zehrt von der Schwermut und zeugt von alpiner Nähe, derweil sich W., der Fisch als mit dem Chanson verwandt erweist. Mit Innerland haben Brun und Brunner ein Album veröffentlicht, das derart verspielt, tiefgründig und wunderbar daherkommt, dass man es gerne gleich nochmals abspielt.

 

Albin Brun & Kristina Brunner: Innerland. Eigenvertrieb, www.albinbrun.ch

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