Basiswissen zur klassischen Musik, mit vielen Zeichnungen und Humor serviert.
Walter Amadeus Ammann
- 01. Dez. 2023
Eine der zahlreichen Zeichnungen von Linda Grädel. zVg
Die Autorin, die in Schaffhausen Chöre geleitet hat und als Konzertrezensentin tätig ist, möchte den Menschen mit diesem bunten Büchlein die klassische Musik näherbringen. Die von «absolutes Gehör» bis «Zauberei» aufgeführten musikalischen Begriffe sind gewürzt mit humorvollen Bemerkungen, 14 besondere Komponistinnen und Komponisten von Hildegard von Bingen bis John Cage erhalten eine Sonderseite, 350 werden mit Lebensdaten und Musikstil aufgelistet und die Orchesterinstrumente sind gezeichnet und benannt.
Auf jeder zweiten Seite schildern Linda Grädels schwungvolle Zeichnungen die Hingabe von Musizierenden. Hilfreich und anregend für junge Musikschülerinnen und -schüler sowie für den Konzertbesuch.
Gisela Zweifel-Fehlmann: Klassik ist klasse! Das musikalische Glossar samt Komponistenverzeichnis für Einsteiger, mit Zeichnungen von Linda Grädel, 160 S., Fr. 10.00, Edition ABCDEF…, Diessenhofen 2023, ISBN 978-3-03858-732-3 (Druck)
Stabwechsel bei den «Talentscouts»
23 Jahre war Howard Griffiths künstlerischer Leiter der Orpheum-Stiftung. Nun übernimmt der Pianist Oliver Schnyder diese Aufgbe. Ein Rück- und Ausblick
Simon Bittermann
- 17. Nov. 2023
Der bisherige und der neue künstlerische Leiter der Orpheum-Stiftung: Oliver Schnyder am Flügel und Howard Griffiths am Pult. Fotos: Thomas Entzeroth
Weshalb man ihn vermissen wird, zeigte sich auch beim Abschied. Seit über 30 Jahren fördert die Orpheum-Stiftung junge Musikerinnen und Musiker. Beim Konzert vom 21. Oktober, gleichzeitig Stabübergabe in der künstlerischen Leitung, demonstrierte Howard Griffiths in einer kurzen Abschiedsrede, was es für eine erfolgreiche künstlerische Laufbahn neben Talent eben noch zusätzlich braucht. Das von ihm geleitete Orpheum Supporters Orchestra umschrieb er als «Ärzteorchester», eine Bezeichnung, die aus seinem Mund in keiner Weise despektierlich klang, sondern nur den Schalk und die Begeisterungsfähigkeit seiner Persönlichkeit unterstrich.
Die Einzigartigen finden
Persönlichkeit sei denn auch das Kriterium, auf das er als «Talentscout» neben den musikalischen Qualitäten in erster Linie achte, betonte Griffiths im zuvor geführten Telefongespräch. In den letzten Jahren sei die Menge an technisch hochbegabten Leuten grösser geworden, die «ganz besonderen künstlerischen Persönlichkeiten» blieben aber so selten wie eh und je. Eine Einschätzung, die auch sein Nachfolger Oliver Schnyder teilt. In einem schriftlich geführten Interview betonte dieser, dass sich die Interpretationen junger Künstler aufgrund der fehlenden Zeit für eine organische Entwicklung immer mehr einem «breit akzeptierten Standard» annäherten, und schliesst mit dem bemerkenswerten Satz: «Ich bin mir gar nicht so sicher, ob sich Musikerpersönlichkeiten wie ein Fritz Kreisler, ein Edwin Fischer, eine Clara Haskil oder ein Pablo Casals heute noch in vergleichbarer Weise durchsetzen würden.»
In der Sache sind sich die beiden also einig. Es geht bei der Orpheum-Stiftung darum, einzigartige Persönlichkeiten aus dem grossen Reservoir an Talenten herauszupicken. Eine Aufgabe, die bislang auch erfolgreich bewältigt wurde, wie ein Blick in das Archiv zeigt: Truls Mørk, Renaud und Gautier Capuçon, Yuja Wang, Alisa Weilerstein, Nikolaj Znaider, um nur einige zu nennen, haben alle von der Förderung durch die Stiftung profitiert. Man kann also mit einigem Recht von einer Erfolgsgeschichte sprechen. Und alle Anzeichen sprechen dafür, dass diese mit Schnyder fortgeschrieben wird. Schnyder, der einst selbst zu den «Zöglingen» zählte, sieht sich in erster Linie als neues Mitglied eines starken Teams. Kontinuität ist also das Zauberwort, lediglich die Setzung einiger neuer Schwerpunkte ist zu erwarten.
Entwicklungspotenzial ausschöpfen
Bezüglich dieser neuen Schwerpunkte kann man das Konzert vom 21. Oktober denn auch als programmatisch bezeichnen. Denn die 1996 geborene dänisch-ukrainische Geigerin Anna Agafia Egholm trat dabei nicht als alles überstrahlende Solistin auf, sondern spielte gemeinsam mit dem ehemaligen Orpheum-Solisten Maximilian Hornung am Cello und Oliver Schnyder am Klavier Beethovens Tripelkonzert. Damit wies das Konzert die Richtung: Stiftungszweck und Fördermodell der Orpheum-Stiftung sind es, junge Solistinnen und Solisten mit bekannten Orchestern und Dirigenten zusammenzubringen. «Neu werden wir die Idee auch auf die Kammermusik übertragen und grosse Mentorinnen und Mentoren einladen, die mit den Jungen proben und auftreten», beschreibt Schnyder seine Zukunftsvision.
Aus diesem Grund spielte es auch keine Rolle, dass kein «Spitzenorchester» den Abend bestritt. Denn auch wenn das aus Laien und einigen Profis zusammengesetzte Orpheum Supporters Orchestra seine Sache gut machte, so ist es doch kein Ensemble im Sinne der Stiftungsvorgaben. Das Zusammenspiel mit den beiden etablierten Solisten war hingegen durchaus eine Spitzenleistung. Gerade der Vergleich mit Hornung zeigte auch Entwicklungspotenzial bei Egholm auf. Dessen prägnantere und plastischere Phrasierung demonstrierte eindrücklich, was man aus dem häufig verkannten Tripelkonzert herausholen kann.
Bei den Proben: Anna Agafia Egholm, Violine, Oliver Schnyder, Klavier Maximilian Hornung, Cello, und Howard Griffiths.
Apropos Entwicklungspotential: Bei allem Lob für den Leistungsausweis der Orpheum-Stiftung könnte auch sie einige neue Möglichkeiten ausschöpfen. Nicht aus der Sicht derjenigen, die mit dem Status quo des klassischen Konzertbetriebs zufrieden sind: Berühmte Interpreten spielen das bekannte Repertoire aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Für alle andern aber wäre es schön, würde sich die 800-jährige, stets weiter fortgeschriebene Tradition der klassischen Musik auch in der Nachwuchsförderung stärker abbilden.
Howard Griffiths hat das unter anderem mit der Einführung von Composers in Residence versucht, führte im Gespräch aber den damit verbundenen, enormen Aufwand an, den eine kleine Stiftung organisatorisch kaum stemmen könne. Oliver Schnyder verwies diesbezüglich explizit auf den Stiftungszweck, schloss aufgrund der neuen Kammermusikformate eine gewisse Erweiterung des Repertoires aber nicht aus. Und ja, es ist nicht die Aufgabe einer einzelnen Stiftung, den Klassikbetrieb zu refomieren. Aber ist es vermessen, ein klein wenig Hoffnung in eine Stiftung zu setzen, welche vor etwas mehr als 30 Jahren ein revolutionäres Förderkonzept etablierte?
Am 9. November fand in Baden ein Forum lanciert vom Aargauischen Kulturverband und der Kulturstiftung Pro Argovia statt. Die Referate und Podiumsdiskussionen kreisten um das Thema «Kultur ist systemrelevant!».
Sibylle Ehrismann
- 16. Nov. 2023
Podiumsdiskussion (v. li.): Monika Schärer, Maja Wanner, Antonia Businger, Christian Brönniman, Christine Egerszegi. Fotos: Jean-Marc Felix, XMedia
Der Aargauische Kulturverband ist relativ neu. Im November 2019 haben sich diverse Aargauer Kulturinstitutionen und Freischaffende darin zusammengeschlossen. Der engagierte Vorstand deckt verschiedene Sparten ab und hat sich zum Ziel gesetzt, das Aargauer Kulturschaffen sichtbarer zu machen und vor allem in politischen Kreisen mit einer Stimme für die Kultur zu lobbyieren. Eben wurde mit Daniel Hertli ein neuer Geschäftsführer gewählt.
Unter seinem ersten Geschäftsführer Michael Schneider hat der Verband nicht nur deutlich Stellung genommen zu Grossratsentscheidungen und zum Aargauer Kulturkonzept 2023–2028. Er kümmerte sich auch um eine bessere Information der Grossratsmitglieder über die schwierigen Rahmenbedingungen der Kultur. Dank Grossrat Markus Lang ist eine Kulturgruppe entstanden, die rund 40 Mitglieder aus verschiedenen Parteien zählt. Für diese Gruppe werden Führungen organisiert, die einen Blick hinter die Kulissen ermöglichen.
Der Stellenwert der Kultur
In seinem Grusswort zur Eröffnung des Forums betonte Stadtammann Markus Schneider, dass Baden eine selbstwusste und lebendige Kulturstadt sei, auf die er stolz sei. Und Regierungsrat Alex Hürzeler meinte im Gespräch mit der Moderatorin Monika Schärer, dass Kultur vor allem in unseren geopolitisch schwierigen Zeiten wichtig sei für den Zusammenhalt der Gesellschaft und für die Attraktivität eines Standorts.
«Was ist Kultur?» – Mit dieser Frage eröffnete die politische Philosophin Katja Gentinetta die Reihe der Referate.
Katja Gentinetta reflektierte als politische Philosophin in ihrem Eröffnungsreferat den Kulturbegriff. Kultur sei die Weiterentwicklung der geistigen und moralischen Kräfte, alles, was unser Leben besser mache. Ihrer Meinung nach ist Kultur nicht weniger systemrelevant als Landwirtschaft oder das Gesundheitswesen. Und eine gute Unternehmenskultur sei zwar nicht messbar, aber unverzichtbar.
Eine interessant besetzte Runde führte nach jedem Referat eine Podiumsdiskussion: Für den Physiker Christian Brönnimann, Gründer und VR-Präsident der Firma Dectris, hat Kultur viel gemein mit der Wissenschaft. Beide Bereiche seien mit grossen Anstrengungen und mit viel Passion verbunden, das Geld stehe nicht im Vordergrund. Seine Firma unterstützt Kultur mit einem Anteil des Firmengewinns. Das gehe aber nur, wenn das Geschäft erfolgreich ist.
Für Maja Wanner, die Ehefrau von Peter Wanner, VR-Präsident des Medienunternehmens CH-Media, ist Kultur das Schmiermittel der Gesellschaft und ein Bollwerk gegen die Verrohung. Sich zu treffen, das gemeinsame Liveerlebnis werde immer wichtiger. Sie, die sich im Fundraising für Kultur stark engagiert, sieht in der wachsenden Anonymität der Unternehmen ein Problem. Es fehlten selbständige und begeisterungsfähige Unternehmer, die man persönlich ansprechen könne.
Kunst ist für Christine Egerszegi, ehemalige Ständerätin und Kulturbotschafterin, keine gemeinnützige Arbeit, sondern ein ernst zu nehmender Beruf. Ein Problem des Aargaus sei, dass es hier sehr wenige Stiftungen gebe. Zudem plädierte sie vehement dafür, dass per Quote ein Teil jedes Firmengewinns für Kultur ausgegeben werden sollte. Wenn man bedenkt, was das Migros-Kulturprozent bis heute bewirkt hat, kann man Egerszegi nur recht geben.
Welche Werte generiert Kultur? Und für wen?
Christoph Weckerle, Direktor des Zurich Center for Creative Economies an der ZHdK, relativierte in seinem Referat den Wertebegriff, indem er ihn global betrachtete. Und Nicola Forster, Präsident der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, betonte, dass die Schweiz mit ihren vier Sprachkulturen eine Willensnation sei. Sie habe nicht eine Leitkultur, eher das Bedürfnis nach Herkunft und Heimat.
Mit Antonina Businger diskutierte eine junge Künstlerin auf dem Podium mit, die erfolgreich eine eigene GmbH gegründet hat. Bei der Badenfahrt im Sommer war sie die jüngste Festgestalterin und künstlerische Leiterin, die dieser Anlass je hatte. Am Forum wurde auch für originelle Unterhaltung gesorgt, die sprachakrobatischen Intermezzi des Schriftsteller Simon Libsig kamen gut an. Als Monika Schärer nachfragte, ob im Publikum auch Unternehmerinnen und Politiker sässen, gingen doch etliche Hände hoch. Auch Georg Matter, der Chef der Abteilung Kultur im Aargauer Departement Bildung, Kultur und Sport, war anwesend und wurde zum Schluss von Schärer über die Rolle der Wirtschaft in der Kulturförderung befragt. Er meinte treffend, dass sich auch dieses Forum in einer Blase befinde. Er habe die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen keine Ahnung hätten von Kultur. Umso wichtiger sei es, öffentlich über sie zu sprechen und sie sichtbarer zu machen. Der volle Saal machte deutlich, dass der Aargauische Kulturverband und das Forum Pro Argovia mit diesem Anlass einen Anfang gemacht haben.
In der Sonderausstellung «Grenzenlos lüpfig» deckt das Rätische Museum in Chur die Vielfalt der traditionellen Musik dieses Kantons auf und macht deutlich, wie sie Einflüsse aus anderen Regionen aufnahm und ihrerseits auf auswärtige Musik einwirkte.
Brigitte Bachmann-Geiser
- 13. Nov. 2023
«Grenzenlos lüpfig» ist nicht modisch in Szene gesetzt, sondern wirkt mit eigens geschreinerten Kisten, Kasten, Tischen und Stabellen wie eine Bündnerstube mit Hörstationen. Fotos: Corina Hochholdinger, Rätisches Museum Chur
Silvia Conzett und ihr Team haben rund vierzig Musikinstrumente aus der hauseigenen Sammlung, einigen Bündner Heimatmuseen und dem eben eröffneten Haus für Instrumente in Kriens versammelt und mit zahlreichen Fotos und Tonbeispielen ergänzt. Zum vertiefenden Studium stehen in jedem Ausstellungsraum zudem kleine Handbibliotheken mit Singbüchern, Spielheften und Sekundärliteratur bereit.
Die im Bündnerland wichtige Vokaltradition – es wird in fünf romanischen Idiomen, Deutsch, Italienisch und Rumantsch grischun gesungen – präsentiert sich in Bildern, Notenblättern, Hörstationen und Publikationen, unter ihnen Ausgaben der bedeutenden Volksliedersammlung von Alfons Maissen. Die lebensgrossen Silhouetten einer Gruppe von sieben Sängern lädt den Besucher zum Mitsingen einer der sieben Melodien ein. Anstelle eines Katalogs stehen die Ausstellungstexte als Handouts zur freien Verfügung.
Von der Tiba bis zum Schüblöt da marmel
So wie die traditionelle Musik der ganzen Schweiz entspricht auch die Volksmusik Graubündens einer lokal ausgestalteten alpenländischen Volksmusik, die aber die Einflüsse der Nachbarländer spiegelt. Die Südtäler haben die Bandella, eine kleine Blasmusik, mit dem Tessin, der Lombardei und dem Piemont gemeinsam. Im Unterengadin wurde noch im frühen 20. Jahrhundert das Tiroler Raffele, eine Kratzzither in Salzburgerform, gezupft.
Zithern in Salzburgerform erinnern im Unterengadin ans Tiroler Raffele, die ausgestellten Geigen an die Geigenschulen im Safiental.
Die Ausstellung im Rätischen Museum weist daneben auf klingende Spezialitäten aus Graubünden hin. War die Tiba, ein konisches Naturtoninstrument aus Holz oder Weissblech, vor fünfzig Jahren fast vergessen, lebt dieses Alphorn in der Surselva wieder auf. Es wird gebaut, als Amateurinstrument gespielt und hat zu einer neuen Verwendung, den Tibadas, geführt. Dabei stellen sich die Bläser in der Landschaft auf und antworten reihum einem zentralen Tibaspieler.
Zur Hirtenmusik gehörte im Münstertal neben Viehglocken und Geisshörnern ein in der Schweiz einzigartiges Signalinstrument, der Schüblöt da marmel. Er wird aus Gipssteinen, wie sie in Santa Maria Müstair in den Rambach fallen, geschnitten. Das kleine, zum Spiel ganz auf der Zunge liegende Gefässflötchen wäre ausgestorben, hätte nicht ein aufgeweckter Ferienbub aus dem Elsass die Herstellung und Spielweise einem alten Hirten abgeschaut.
Der Bündner Stil erreicht die ganze Schweiz
Zu den Besonderheiten der Musiktradition Graubündens dürfen die Geigenschulen aus dem Safiental gezählt werden. Bereits im 19. Jahrhundert unterrichteten mehrere Lehrer Schulkinder im Bau und Spiel von Streichinstrumenten und führten die in Streusiedlungen weit auseinander wohnenden Jugendlichen in musizierenden Gruppen zusammen. Neuerdings werden die Tanzhandschriften aus dem Safiental bearbeitet und publiziert.
Vor der Standardisierung der Ländlerkapelle formierten sich in den Dörfern der deutschsprachigen Schweiz aus lokalen Streichern und Bläsern zusammengesetzte Tanzensembles, die man nach dem Vornamen des jeweiligen Bandleaders benannte. Aus der Fränzlimusik, nach dem legendären blinden Geiger Franz Waser, ist die fürs Engadin typische Besetzung der Fränzlis da Tschlin geworden (Red. siehe SMZ 11/2022, S. 19 f.).
Heute ist die Volksmusik-Szene vielfältig und lebendig. Die Ausstellung zeigt ihr Wurzeln, ihre Geschichte und ihre vielfältigen Verbindungen.
Erst in den 1930er-Jahren festigte sich die Besetzung der Ländlerkapelle, und zwar je nach den grossen Volksmusiklandschaften im sogenannten Berner Stil (mehrere Schwyzerörgeli und Bass), im Innerschweizer Stil (Klarinette, Schwyzerörgeli, Kontrabass und Klavier) und im Bündner Stil, einer Besetzung mit zwei Klarinetten, zwei Schwyzerörgeli oder Akkordeon und Bass. Dieser durch Bündner Musikanten vorerst in Gastspielen bei Bündnervereinen in den Städten, später als Mitglieder von deutschschweizerischen Kapellen, vor allem aber durch Radio Beromünster und Schallplatten verbreitete Ländlerstil wurde während der Landesausstellung 1939 zur Schweizer Nationalmusik und damit zur geistigen Landesverteidigung. Das erklärt, warum der Bündner Stil in der ganzen Schweiz bekannt und beliebt ist.
Über zwanzig Originalwerke für Geige und Klavier, vom Huhn bis zum Hai, vom Floh bis zum Elefanten.
Walter Amadeus Ammann
- 02. Nov. 2023
Bild: MikyR/depositphotos.com
Neben den sieben berühmten Tierstücken kann man in diesem Heft 14 wenig bekannte Werke entdecken. Sie sind leicht (1.–3. Lage) bis mittelschwer (bis in hohe Lagen) zu spielen. Die Klavierbegleitung ist im Stil der jeweiligen Originale (17.–20. Jahrhundert und südamerikanisch) gut getroffen; hie und da übernimmt auch die Geige die Begleitung. Die Tonarten bewegen sich zwischen zwei B und zwei Kreuzen, davon ein Drittel in Moll. Das Heft könnte sich für ein Klassenvorspiel eignen.
Animals in Music, 21 Originalwerke für Violine und Klavier, bearbeitet von Wolfgang Birtel mit Fingersätzen und Bogenstrichen von Barbara Leichtweis-Birtel. ED 23524, € 19.50, Schott, Mainz
Mit zwei Stimmen eine dritte zaubern
Adrian Wehlte macht aus einem akustischen Phänomen eine Hör- und Intonationsschulung.
Martina Joos
- 01. Nov. 2023
Foto: r7g0/depositphotos.com
Was ist schlimmer als eine Blockflöte? Zwei! – Was in diesem Witz unter anderem angesprochen wird, ist die Tatsache, dass die Intonation auf der Blockflöte schwierig und bei zweien kompliziert ist, weil dabei immer etwas «mitsurrt, schwirrt, zirpt oder brummt», wie es im Vorwort zu den Trios zu zweit heisst. Ein Grund dafür ist im spezifischen Obertonspektrum der Blockflöte zu finden. Spielen zwei (vor allem hohe) Blockflöten zusammen, entsteht mindestens ein sogenannter Kombinationston. Während man gewöhnlich einfach versucht, die beiden Blockflöten einigermassen gut zueinander zu intonieren, macht sich Adrian Wehlte genau dieses Prinzip zunutze. Seine notierten Duos ergeben, wenn sie vollkommen rein intoniert werden, einen Kombinationston, der exakt zu den beiden gespielten Tönen stimmt; aus dem Duo wird ein Trio.
Das Heft mit progressivem Schwierigkeitsgrad soll eine praktische Anleitung zur Intonationssicherheit sein, indem Kombinationstöne bewusst wahrgenommen werden. Diese sind deshalb in einem weiteren Notensystem als virtuelle dritte Stimme notiert, die satztechnisch zu den beiden Oberstimmen passt und ein wirkliches Trio zu zweit ergibt. Nimmt man das Duo auf, wird hörbar, dass die dritte Stimme nicht nur im Ohr der Musizierenden als akustisches Phänomen existiert, sondern klanglich real vorhanden ist. Drei der Duos stellen ein Rätsel dar, in dem die unsichtbare dritte Kombinationstonstimme eine bekannte Melodie ergibt.
Erläuterungen zur Obertonreihe und zu den Kombinations- bzw. Differenztönen runden das Heft ab; wer es noch genauer wissen will, kann unter forum.floeno.de weitergehende Ausführungen erfragen oder sich auf der Diskussionsplattform zu diesem Phänomen austauschen.
Die Trios zu zweit gibt es in einer Ausgabe für zwei Sopranblockflöten (Oboen oder Klarinetten) und für zwei Altblockflöten (Querflöten), wobei die Hefte die gleichen Übungen bzw. Originalkompositionen enthalten.
Adrian Wehlte: Trios zu zweit; Ausgabe für 2 Sopranblockflöten: EFL 1221; für 2 Altblockflöten oder Querflöten: EFL 1220; je € 12.50; Edition Floeno, Dinkelsbühl
Anspruchsvolles für Cello und Orgel
In der «Sonata da chiesa» von Harald Feller kann das Cello durch lyrische Passagen hervortreten.
Harald Feller (*1951) unterrichtet Orgel am Institut für Kirchenmusik der Hochschule für Musik und Theater München. Mehrere seiner Kompositionen wurden mit Preisen ausgezeichnet. Bekannt ist er zudem für die Interpretation des berühmten Orgelparts im Film Schlafes Bruder. Sein Werkkatalog umfasst Kompositionen für Chor a cappella, Vokalmusik mit Ensemble oder Orchester, Musik für Tasteninstrumente, Kammermusik sowie Orchesterstücke.
Die vorliegende viersätzige Sonata da Chiesa für Cello (Viola) und Orgel basiert auf dem musikalischen Material von Fellers 2006 entstandener Feldafinger Messe für 7-stimmigen gemischten Chor, Streicher, Harfe, Schlagzeug und Orgel. Der Messestruktur entsprechend sind die Satzbezeichnungen der Sonate: Kyrie eleison – Ruhig, ausdrucksvoll; Gloria in excelsis Deo – Lebhaft, sehr rhythmisch; Sanctus – Benedictus – Ruhig, feierlich; Communio – Adagio. Fellers Kompositionsstil erinnert bisweilen an Maurice Duruflé, Flor Peeters oder eben an Filmmusik.
Der Cellopart bietet überwiegend dankbare, lyrische Aufgaben, wobei im dritten Satz einige anforderungsreiche Doppelgriff-Passagen in hoher Lage zu bewältigen sind (Tonumfang: G–f2). Gemäss dem Komponisten «muss ein grosser Teil des Orgelparts auf zwei Manualen gespielt werden, da sich die Hände häufig überschneiden. Es ist darauf zu achten, wann eine Stimme hervortreten soll oder wann die beiden Hände gleichberechtigt auf zwei oder auch auf einem Manual gespielt werden können. Wichtig ist, dass der Orgelpart immer abwechslungsreich und transparent bliebt.»
Die Sonate eignet sich als liturgische Musik im Gottesdienst, kann aber auch als Konzertstück verwendet werden. Das nicht allzu reiche Repertoire an Originalliteratur für Cello und Orgel erhält mit dieser technisch anspruchsvollen Komposition eine originelle Bereicherung. Als Ergänzung steht zudem eine transponierte Fassung für Viola zur Verfügung.
Harald Feller: Sonata da chiesa für Cello (Viola) und Orgel, EW 1229, € 19.80, Edition Walhall, Magdeburg
Diabelli-Variationen neu variiert
Der Pianist Rudolf Buchbinder hat zeitgenössische Komponistinnen und Komponisten zu Werken rund um Diabellis Walzer angeregt.
Zum Beethoven-Jubiläumsjahr hat der Wiener Pianist Rudolf Buchbinder dessen 33 Veränderungen über einen Walzer von A. Diabelli erneut eingespielt, und zwar schon zum dritten Mal. Dabei liess er sich etwas ganz Besonderes einfallen: Er kombinierte Beethovens gigantischen Zyklus mit Vertonungen von dessen Zeitgenossen, die damals für den Verleger Diabelli ja ebenfalls Variationen über das gegebene Thema verfassten, darunter die Versionen von Franz Schubert, Franz Xaver Mozart und dem erst elfjährigen Franz Liszt. Darüber hinaus aber regte Buchbinder heutige Komponisten und Komponistinnen an, sich mit Diabellis Walzer auseinanderzusetzen. Die Liste ist beeindruckend und umfasst elf Namen von Lera Auerbach bis Jörg Widmann.
Einige dieser Werke sind nun im Verlag Schott erschienen, so zum Beispiel Christian Josts rassiges Rock it, Rudi! (ED 23535) oder die Variation über ein Thema von Anton Diabelli von Rodion Schtschedrin (ED 23536). Letzteres entpuppt sich als pfiffiges Stück voller Pirouetten und Überraschungen und soll ganz ohne Pedal gespielt werden (wobei das mittlere Pedal da und dort hilfreich sein könnte).
Mehr in die Tiefe geht der Beitrag von Toshio Hosokawa. Der 1955 in Hiroshima geborene Komponist scheint sich dabei nicht nur an Beethovens Veränderungen, sondern auch an jener Variation orientiert zu haben, die Franz Schubert damals für das Gemeinschaftswerk beisteuerte. Hosokawas Diabelli-Variation mit dem Titel Verlust steht nämlich ebenfalls in der Tonart c-Moll und trägt auch sonst durchaus verwandte Züge. Es ist eine Meditation, deren stille Klänge immer wieder durch schroffe Einwürfe unterbrochen und in Frage gestellt werden. Dieses «Adagio, sostenuto, mit Empfindung und Ausdruck» lässt Diabellis Thema stets klar durchscheinen und ist mit Ausnahme einer schnellen Kadenz von geringen pianistischen Anforderungen. Gegen Ende frönt Hosokawa mit zwei längeren Trillern allerdings auch einer Vorliebe des späten Beethoven …
Das in seiner Einfachheit einnehmende Stück wurde zusammen mit den anderen Beiträgen im März 2020 von Rudolf Buchbinder im Wiener Musikverein uraufgeführt und ist auf der CD The Diabelli Project zu entdecken (Deutsche Grammophon 00028948377077).
Es kommt nicht häufig vor, dass man vierzig (40) Jahre auf ein Buch wartet. Von Martin Staehelins Biografie des Zürcher Musikers Hans Georg Nägeli (1773–1836) erfuhr ich erstmals im Frühjahr 1983. Nun liegt es da, das Opus ultimum des geachteten Schweizer Musikwissenschaftlers, der sich sein Leben lang mit Nägeli und dessen Zürcher Umfeld beschäftigt hat. Dass Nägeli «Sängervater», Komponist, Verleger, Bach-Verehrer, Musikästhetiker war und mit Beethoven korrespondierte, wusste man, aber dass der Ideenmensch Nägeli sich darüber hinaus an pädagogische, philosophische und theologische Themen heranwagte, dichtete, theoretisierte und sich in die Politik einmischte – aber nicht der Komponist von Freut euch des Lebens war – , das erfährt man aus Staehelins umfassender Studie.
Sie beruht ganz auf Schriftquellen, vor allem aus Nägelis Zürcher und Winterthurer Nachlässen, bezieht aber eine Unmenge an zeitgenössischen Schriften und entlegener Sekundärliteratur ein. Dabei ist der 640 Seite starke Textteil leicht zu lesen, zwar detailgenau, aber nie langfädig, und der Autor versteht es, die Lesenden sicher durch das Labyrinth seiner weitreichenden Gedanken zu führen. Noch nicht veröffentlichte Texte von Hans Georg Nägeli liefert ein digitaler Band II, der kostenlos heruntergeladen werden kann.
Dass dieses doppelte Nägeli-Monument infolge der Erkrankung seines Autors nur dank kundiger Unterstützung von Helferinnen veröffentlicht werden konnte, merkt man dem Buch kaum an. Dennoch scheint es, als würden Martin Staehelin und seine Co-Autorinnen es bedauern, seinen diversen Aufforderungen zu vertiefteren Detailstudien nicht selbst nachkommen zu können. Das Warten hat sich gelohnt: Das Buch ist nicht nur ein Lebenswerk, sondern ein Meilenstein der schweizerischen Musikgeschichtsschreibung.
Martin Staehelin: Hans Georg Nägeli (1773–1836). Einsichten in Leben und Werk, Band I, 789 S., Fr. 90.00, Schwabe, Basel 2023, ISBN 978-3-7965-4746-1
Aus einem anderen Firmament
Die vier Musikerinnen und Musiker von Quiet Island berücken auf «push/pull» mit neblig-zartem Gesang.
Hanspeter Künzler
- 29. Okt. 2023
Quiet Island. Foto: Red Brick Records
Anarchistisch angehauchte DIY-Experimente, multikulturelle Fusionsklänge und atmosphärischer Rap stellen mittlerweile so etwas wie eine stilistische Orthodoxie von Genf dar (siehe SMZ 11/2023, Der Sound der besetzten Häuser). Aber die Stadt verfügt auch über allerhand «Outliers». Am einen Ende des Spektrums steht die Extrem-Metal-Band Rorcal, die auf der Suche nach dem «Unausdrückbaren» bei einem pechschwarzen Sound-Sturm gelandet ist. Am anderen finden wir Quiet Island, ein Quartett von vier Stimmen – eine Frau, drei Männer – und einem Instrumentarium von zurückhaltend gezupften Gitarren, Cello, Querflöte und einem Hauch Synthi. push/pull ist ihr drittes Album.
In früheren Tagen gewannen sie einmal die Kategorie «Pop» bei der Demotape-Clinic am m4music-Festival. Dabei liegt ihre elegante, fein ziselierte Musik meilenweit entfernt von poppigem Alltagsschaum. Leicht wie Gaze legen sich die vierstimmigen Gesangsharmonien über Bossanova-artige Beats, die viel Raum belassen für die unaufgeregten Riffs oder das sanfte Gezupftwerden einer diskret-jazzigen Gitarre. Kurioserweise hat die Band ihr schönstes Stück, Frozen Lake, ganz am Schluss dieses berückend nebligen Albums vergraben. Dabei ist der urplötzliche Holzbläsereinsatz ein veritabler Glanzmoment.
Vergleiche? The Swingle Singers vielleicht oder Fifth Dimension und Simon & Garfunkel. Nur halt alles in Zeitlupe vorgetragen und aus einem anderen Firmament eingebeamt.
Quiet Island (Julien Dinkel, Voice, Drums, Guitar; Julien Henchoz, Voice, Guitar, Piano; Louise Meynard, Voice, Bass, Cello; Laurent Zito, Voice, Guitar,Transverse Flute): push/pull. Red Brick Records
Liebesbriefe und Philosophisches
Vokalzyklen mit Orchester aus frühen und späten Schaffensperioden Heinrich Sutermeisters.
Die Musikwissenschaftlerin Antje Müller schreibt in einem Artikel über Heinrich Sutermeister, in dem sie den Komponisten ziemlich eindeutig als Nazi-Mitläufer charakterisiert, dass bei der Betrachtung «konformer» Musik aus Deutschland zwischen 1933 und 1945 nicht die «ohnehin meist dürftige Musik untersucht werden müsste», sondern die Rezeption, da die Musik allein kaum das ganze assoziative Beiwerk vermitteln würde. Damit wird sie der Musik des 1910 in der Nähe von Schaffhausen geborenen und 1995 in seiner Wahlheimat am Genfersee gestorbenen Komponisten nicht gerecht.
Tatsache ist aber, dass Sutermeister, der in München unter anderem bei Walter Courvoisier und beim erzkonservativen Hans Pfitzner studiert hatte und zu dessen Freunden Carl Orff und Werner Egk gehörten, die dem NS-Regime sehr nahestanden, mit Blindheit geschlagen schien, was Leben und Politik in Deutschland betraf. Zwei seiner Opern wurden 1940 und 1942 in Dresden mit Erfolg uraufgeführt, eine dritte, für Berlin geschriebene konnte nur aufgrund der Kriegsereignisse nicht gespielt werden. Dass im Booklet der neuen Toccata-Classics-CD diese Problematik mit keinem Wort erwähnt wird, mutet seltsam an, wird Othmar Schoeck doch für seine mangelnde Distanz zum nationalsozialistischen Staat regelmässig kritisiert.
Die CD enthält die grossen Vokalzyklen Sutermeisters sowie eine Arie aus der Oper Romeo und Julia (1940). Es ist keine Frage, dass der Komponist sein Handwerk verstand und auch einen persönlichen Stil entwickeln konnte, der von der deutschen Spätromantik ausgeht und der Tonalität und der herkömmlichen Instrumentation treu bleibt, wobei das Cembalo einige ungewohnte Farbtupfer beisteuern darf. Erstaunlich ist, dass die Sieben Liebesbriefe für Tenor und Orchester von 1935 klanglich nicht Welten von den Sechs Liebesbriefen für Sopran und Orchester von 1979 entfernt sind. Eigentlich ist die Textwahl originell: Es sind Liebesbriefe aus dem 16. und 18. Jahrhundert von zumeist bekannten Persönlichkeiten und Dichtern, die ganz unterschiedliche Gemütslagen schildern. Das Problem ist die Fülle an Text, die zumindest ohne Booklet in der Hand nicht immer verständlich ist und auch etwas langatmig wirkt. Das gleiche trifft auf die Consolatio philosophiae für hohe Stimme und Orchester auf lateinische Texte des römischen Philosophen Boethius zu, die zum Andenken an Ernest Ansermet entstanden ist und 1979 von Peter Schreier in Genf uraufgeführt wurde.
Trotz kompetenter Interpretationen durch die Sopranistin Juliane Banse, den Tenor Benjamin Bruns und die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter der Leitung von Rainer Held ist die CD kein feuriges Plädoyer für erneute Konzertaufführungen dieser Werke.
Heinrich Sutermeister: Orchestral Music Vol. 2, Works for Voice and Orchestra. Juliane Banse, soprano; Benjamin Bruns, tenor; Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz; Rainer Held, conductor. Toccata Classics TOCC 0608
Die «Weltrhythmusformel»
Gerhard Reiter zeigt in «Rhythmus ohne Grenzen», wie Songs aus aller Welt mit einigen Basis-Modellen in Szene gesetzt werden können.
Bernhard Suter
- 27. Okt. 2023
Foto: cheekylorns2/depositphotos.com
Was haben afrikanische, orientalische und karibische Musik gemeinsam? Nichts weniger als die «Weltrhythmusformel». Sie lautet:Nur die Tonhöhe und die Betonung der einzelnen Zählzeiten machen den Unterschied, ob sich das afrikanische, orientalische oder Latin-Feeling einstellt. In der afrikanischen Variante lautet die Rhythmusformel
in der orientalischenin der karibischenDazu kommen die Instrumente, die den spezifischen Klang ausmachen. Konzis und anschaulich werden die Spieltechniken der Djembe (afrikanisch), Conga (karibisch), Darabukka (orientalisch) und weiterer Perkussionsinstrumente erklärt und in den Videos vorgeführt, die über die Helbling-Media-App bereitstehen.
Die Rock- und Poppatterns hingegen widersetzen sich dem ternären Rhyhtmusempfinden und sind straight. Je nach Song passen sie aber besser. Das Drumset verteilt sich dann auf mehrere Perkussionsinstrumente und eignet sich dadurch gut fürs Klassenmusizieren. Wiederum ein anderes Feeling zeigt sich im brasilianischen Choro oder im Samba, von den ungeraden Rhythmen des Balkans ganz zu schweigen. Alle diese Stile mit ihren je eigenen Akzenten und Klangfarben haben in Rhythmus ohne Grenzen Eingang gefunden.
Die Rhythmusformel aus zwei punktierten Vierteln plus einem Viertel bildet die Grundlage für die Ausgestaltung der Arrangements, mit denen die Beispielsongs begleitet werden. Für einmal ist es also gerade umgekehrt: nicht rhythmische Playbacks begleiten Lieder, sondern Melodien und Harmonien unterstützen die Rhythmen, die im Ensemble gespielt werden. Beide, die Vollversionen der Songs und die Playbackversionen ohne Rhythmusinstrumente, können in der App angesehen werden.
Rhythmen mit oder ohne Lieder
Autor Gerhard Reiter ist einerseits ein weit gereister Musiker, der die Stile und ihre Rhythmen vor Ort erlernt hat. Andererseits ist er Lehrer und weiss um erfolgreiche Vermittlungstechniken. Dazu gehört die Rhythmussprache, die nicht nur die Rhythmen selbst, sondern ebenso die Tonhöhen der Rhythmusinstrumente bezeichnet – eine ausgezeichnete Hilfe für die Erarbeitung der Akzente und Klangfarben der Perkussionsinstrumente. Die Arrangements liegen in einer Basic- und in einer erweiterten Variante vor, wobei die einfache vollauf für eine spannende Begleitung der elf Lieder reicht. Die Rhythmusarrangements können aber auch unabhängig von den Liedern gespielt werden.
Fazit: Wenige, fundierte Zutaten gut gemixt, das ist das Rezept für die authentischen Feelings grosser Musiktraditionen. Was will man mehr?
Gerhard Reiter: Rhythmus ohne Grenzen. Percussion-Modelle zur Begleitung von Songs aus aller Welt, für die Sekundarstufe, 56 S., Audiobeispiele und 90 Videos, Fr. 39.60, Helbling, Bern 2020, ISBN 978-3-99069-315-5
Flinke Flötenfinger
Im Übungsheft «Fingerflink» von Anna-Barbara Rösch lernen und üben kleine Flötistinnen und Flötisten spielerisch anhand von Geschichten.
Claudia Weissbarth
- 26. Okt. 2023
Illustration von Jasmin Céline Baumann. zVg
Bereits im Vorwort zu Fingerflink, das aus einer Reflexion im Rahmen ihres Pädagogikmasters an der Zürcher Hochschule der Künste hervorging, weist die Autorin Anna-Barbara Rösch auf das Ziel hin, «mit kleinen Kindern (ab dem Kindergarten bis zur dritten Klasse) an der Fingertechnik zu arbeiten, ohne das Thema Fingertechnik konkret zu erwähnen».
Der erste Teil enthält zwölf Geschichten mit den Figuren Flurina und Niels, die jeweils am Ende der Geschichte elementare Bausteine der Flötentechnik wie Tonleiterspiel, Griffwechsel und Improvisation üben. Beispielsweise steigen die beiden in der zweiten Geschichte, «In der Schule», die Schultreppe hinauf und werden am Ende aufgefordert, diese auch mit der Flöte zu erklimmen (Tonleiter). Parallel dazu steht auf der gleichen Seite ein Musikstück aus der Literatur, das zum Thema passt, in diesem Fall ein Tonleiterausschnitt aus einem Maestoso von Franz Anton Hoffmeister. Diese Musikbeispiele in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden können zum Üben vereinfacht werden. Farbenfrohe Illustrationen von Jasmin Céline Baumann machen die musikalischen Geschichten für Kinder noch anschaulicher. Der zweite Teil enthält eine Reihe von Übungen, die die Beweglichkeit und Geschicklichkeit der Finger auch ohne Instrument fördern und zum Teil aus der Ergotherapie stammen. Dazu gehören zum Beispiel Aufwärmübungen, Übungen zur Feinmotorik oder zur Körperhaltung.
Das abwechslungsreiche Heft, das eine Bereicherung für den Musikunterricht mit kleinen Kindern darstellt und spielerisch technische Elemente übt, ohne sie beim Namen zu nennen, ist ursprünglich für die Querflöte konzipiert, kann aber mit etwas Kreativität genauso für das Üben mit anderen Instrumenten verwendet werden.
Anna-Barbara Rösch: Fingerflink – Musikalische Fingerübungen in Form von Geschichten, illustriert von Jasmin Céline Baumann, 130 S., Fr. 35.00, Selbstverlag anna-barbara.com/fingerflink
Angst um und vor dem Musikunterricht
Im Kanton Zürich findet das Fach Musik an der Volksschule vielerorts kaum mehr statt. In einer Diskussion kamen Ursachen und Lösungen zur Sprache.
Sibylle Ehrismann
- 05. Okt. 2023
Wenn niemand da ist, der Musikunterricht erteilen kann oder will, nützt auch ein guter Lehrplan nichts. Foto: uatp12/depositphotos.com
Um den Musikunterricht an der Volksschule steht es schlecht. Woran liegt das? Wie kann das Schulfach Musik passend belebt werden? Die Gewerkschaft für den Service Public VPOD Zürich/Musik veranstaltete dazu am 23. September eine öffentliche und gut besuchte Podiumsdiskussion, die von Esther Girsberger moderiert wurde.
Zum Stand der Dinge meinte Maja De Luca vom Vorstand des VPOD Zürich.Musik zu Beginn, dass sich Bund und Kantone für einen hochwertigen Musikunterricht einsetzten. Es gibt das Musikschulgesetz des Kantons Zürich, und dank der Volksinitiative jugend + musik ist die musikalische Breitenförderung im Artikel 67a der Bundesverfassung verankert. Im Lehrplan 21 wurde der Musikunterricht an der Volksschule stark aufgewertet. Darin sind von der 1. bis 6. Klasse zwei Wochenlektionen Musik vorgeschrieben.
Woran liegt es?
Doch heute, zehn Jahre nach der Einführung des Verfassungsartikels, ist die Realität im Kanton Zürich ernüchternd. In der Unterstufe der Primarschule gibt es zwar eine «Musikalische Grundbildung». Die wird jedoch von einer Fachlehrperson erteilt und ist freiwillig, sie ist nicht im Lehrplan 21 enthalten. Später ist der Musikunterricht abhängig von der Lehrperson. Den einen ist das Fach Musik wichtig, entsprechend engagiert unterrichten sie es. Den anderen nicht, ihr Musikunterricht findet kaum mehr statt. Kontrolliert wird das von niemandem. Kommt dazu, dass an der Pädagogischen Fachhochschule Musik kein Pflichtfach mehr ist, es wird freiwillig angeboten. Nur sehr wenige Studierende wählen Musik als Kunstfach.
Auf Esther Girsbergers Frage, wie schlimm es wirklich sei, meinte die Lehrerin für Musikalische Grundausbildung Sibylle Dubs: «Es steht schlecht. Der Grund dafür ist meist individuell: Die Lehrpersonen haben oft Angst vor dem Musikunterricht. Sie trauen ihn sich nicht zu, vor allem nicht das Singen. Das hat oft mit einem Kindheitstrauma zu tun. Vielen wurde eingebläut, sie könnten nicht singen und hätten keine Stimme.»
Gibt es Auswege?
Für Simone Kramer, Volksschulleiterin in der Stadt Zürich, steht und fällt die Qualität des Musikunterrichts mit der Schulleitung. Da sie selber eine musische Kindheit hatte, ist für sie Musik ein wichtiger Teil der Bildung. So entstand in Zusammenarbeit mit der Musikschule eine Tagesschule mit musischem Profil. Das heisst konkret, die Kinder sollen auf jeder Stufe intensiv Kontakt haben mit Musik: Musikalische Grundbildung, Chorsingen und Klassenmusizieren. Dafür gibt es zwei Wochenlektionen. In der 5. und 6. Klasse können sie in einem Chor oder einer Band mitmachen. Und wenn einem Kind sein Instrument gefällt, kann es damit weiterfahren.
Interessant ist die Idee, dass die Lehrpersonen der Volksschule an diesem Musikunterricht teilnehmen, ihn mitmachen. Da Kramers Volksschule vis-à-vis vom Toni-Areal liegt, behilft sie sich mit Musikstudentinnen und -studenten. Dass man eher musische Menschen für den Musikunterricht beiziehen sollte, war bald klar. An der ZHdK gibt es eine entsprechende Ausbildung, den BA Musik und Bewegung. Doch dieser Studiengang hat kein gesichertes Arbeitsfeld. Es gäbe zwar Jobs, doch die Gemeinden entscheiden über die Finanzierung, ob solche Stellen auch besetzt werden. Könnten nicht diese an der ZHdK ausgebildeten Fachlehrpersonen an der Volksschule unterrichten?
Was in anderen Kantonen bereits möglich ist, scheint im Kanton Zürich in weiter Ferne. Myriam Ziegler, die Chefin des Volksschulamts, stellte die politische Situation klar: «Als sich vor rund 20 Jahren die Fachhochschulen entwickelten, wurde diskutiert, ob an Volksschulen Fachlehrerinnen und -lehrer zugelassen werden sollen oder nicht. Man kam zum Schluss, dass man das nicht wolle, um die Klassenlehrkraft als Bezugsperson beizubehalten.» Auf der Primarstufe sind heute maximal 3 Fachlehrpersonen zugelassen.
Was bremst? Die Finanzen!
Wo gibt es Lösungsansätze? An der ZHdK diskutiert man zurzeit über ein Weiterbildungsangebot «Klassenmusizieren» für Volksschullehrkräfte. Auch wäre laut Bernhard Suter, Fachdidaktik-Dozent an der PH Zürich, eine bessere Zusammenarbeit zwischen Musik- und Volksschulen wichtig, doch dafür braucht es mehr Finanzen. Seiner Meinung nach wäre die folgende Möglichkeit vielversprechend: «Man könnte doch in einem Schulhaus eine musikverantwortliche Person einstellen. Diese könnte dann von den Klassenlehrerinnen und -lehrern für den Musikunterricht beigezogen werden.» Das klingt doch vernünftig, man müsste es nur tun und anständig honorieren.
Unter der Leitung von Esther Girsberger (links) diskutieren hier Simone Kramer, Olivier Scurio und Sibylle Dubs. Foto: zVg
Version vom 23. Oktober 2023
Sanftes soziokulturelles Abenteuer
Im Tessiner Musikdorf Sobrio verbinden sich Konzerte, Sommerakademie und lokale Strukturen zu einem integrativen Ganzen. Ein künstlerisch und gesellschaftlich nachhaltiges Festivalmodell, unverwechselbar und unwiederholbar.
Max Nyffeler
- 05. Okt. 2023
Behutsam und eng verflochten entwickeln sich Dorf und Festival. Foto: Max Nyffeler
Tief unten in der Leventina braust auf der Gotthardautobahn der Verkehr, doch oben in Sobrio, auf elfhundert Metern Höhe, sieht und hört man nichts davon. Nach der Fahrt über eine steil ansteigende Strasse mit unzähligen Haarnadelkurven landet man hier in einer anderen Welt: Ein abgeschiedenes Bergdorf, auf einem Sonnenhang zwischen Wiesen und einem Waldstück gelegen, die Häuser mit Natursteinen gedeckt. Eine Kirche aus dem 14. Jahrhundert, ein Ristorante mit einer schönen Terrasse. Die Aussicht auf die gegenüberliegenden Berge ist atemberaubend.
Sobrio hat wie die meisten Tessiner Bergdörfer im Lauf des 20. Jahrhunderts massiv an Bewohnern eingebüsst, 2016 waren es gerade noch achtzig. Doch nun ist neues Leben eingekehrt. «Villaggio della Musica», Dorf der Musik, nennt es sich heute, und an einem Geländer am Dorfeingang hängt ein Transparent: Sobrio Festival. Von Juli bis Mitte Oktober finden hier Instrumentalkurse für Studierende und junge Profis statt, die Dozenten kommen unter anderem von den Berliner Philharmonikern und dem Orchester der Mailänder Scala.
Es wird geübt und geprobt, es gibt Konzerte und den Klavierwettbewerb Elizabeth Tschaikowsky – eine entfernte Nachfahrin des russischen Komponisten stellte dafür ihren Namen zur Verfügung. Die Aktivitäten teilen sich auf zwei Veranstaltungsschienen auf, die sich ergänzen: die Sommerakademie mit den Meisterkursen und das Sobrio Festival. Dieses bietet neben den Konzerten internationaler Künstler auch den besten Kursteilnehmern eine Auftrittsgelegenheit, und umgekehrt unterrichten manche Gastsolisten in den Kursen. Das Villaggio della Musica bildet das gemeinsame Dach.
Ein Dorf verändert sich
Eine Metamorphose hat stattgefunden in Sobrio. Viele Häuser wurden inzwischen nachhaltig renoviert, wobei ihr Äusseres unangetastet blieb. An den Hauswänden befinden sich kleine Messingschilder mit ihren Namen: Casa Gioacchino Rossini, Casa Héctor Berlioz, Casa Franz Schubert. Rund fünfzig der alten Häuser sind inzwischen auf diese Weise «musikalisiert» worden. Die meisten gehören Privatpersonen, die auf unterschiedliche Weise einen Beitrag zu den musikalischen Aktivitäten leisten; auch praktizierende und ehemalige Musiker befinden sich darunter.
Das Innere der Casa Mahler. Foto: Max Nyffeler
Zwei dieser Häuser sind Eigenbesitz der Veranstalter: Das eine ist die grosse Casa Francis Poulenc mit Doppelzimmern für die jungen Musiker und einer geräumigen Küche, wo sie als Selbstversorger kochen und sich treffen können. Auf dem weitläufigen Grundstück gibt es eine Reihe von noch jungen Bäumen; für jeden Gewinner, jede Gewinnerin des Klavierwettbewerbs wird jeweils ein neuer gepflanzt. Das andere Haus ist die perfekt eingerichtete Casa Mahler. Mit einem kleinen Saal für Kammerkonzerte, Workshops und Meisterkurse bildet sie das Herzstück des Unternehmens. Ein grösserer Konzertraum mit rund hundertsechzig Plätzen ist die Kirche San Lorenzo, und für Freiluftkonzerte gibt es einen von alten Mauern abgestützten Bereich direkt hinter der Casa Mahler.
Die Verwirklichung eines Traums
Initiator und kreativer Kopf des Villaggio della Musica ist Mauro Harsch, Pianist und Dozent am Conservatorio della Svizzera Italiana in Lugano. Mit dem Projekt hat er sich einen alten Traum verwirklicht, und im kleinen Dorf Sobrio, das er seit seiner Kindheit kennt, fand er den idealen Ort dafür. «Meisterkurse oder Konzerte gibt es überall, aber Sobrio ist einmalig, nicht nur wegen der Landschaft, sondern auch weil hier ein ganzes Dorf in die Musik einbezogen wird.» Harsch spricht begeistert über die Atmosphäre vor Ort: «Diese Ruhe und Harmonie findet man sonst nirgendwo. Hier, im Kontakt mit der Natur und abgeschirmt von den Banalitäten des Alltags, können sich die jungen Musikerinnen und Musiker frei entfalten.» In einer mehr touristischen oder urbanen Umgebung sei das nicht möglich.
Mauro Harsch, Gründer des Musikdorfs (links) mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Meisterkurses von Francesco De Angelis, Geiger im Orchester der Mailänder Scala (4. v. re.). Foto: Sobrio Festival
Institutionell steht das Musikdorf auf zwei Beinen. Der von Harsch gegründete Verein Ars Dei, dem er vorsteht, ist verantwortlich für die künstlerischen und organisatorischen Fragen, und die Stiftung Amici del Villaggio della Musica kümmert sich um alle institutionellen Aspekte. Diese beiden Träger, dazu ein Freundeskreis mit über zweihundert Mitgliedern, garantieren auch für die finanzielle Sicherheit. Das Musikdorf finanziert sich weitgehend selbst, Zuwendungen Dritter sind willkommen.
Damit Dorf und Musik gewinnen
Das Musikdorf ist ein langfristiges Entwicklungsprojekt. Das betrifft vor allem den Ausbau der Liegenschaften. Gerade wurde mit dem Umbau eines alten Albergo am Dorfende begonnen, und vielleicht schon im nächsten Jahr soll dann unter dem Namen «Hotel Symphony» ein kleines Hotel für die Unterbringung von Festivalgästen zur Verfügung stehen. Bereits fasst man auch ein Wohnprojekt für betagte Musiker ins Auge, neue Unterkünfte für Kursteilnehmer sind ebenfalls angedacht.
Doch alles schön der Reihe nach, überstürzt wird nichts. Nicht zuletzt, weil die Verantwortlichen wissen, dass das musikalische Unternehmen einen Eingriff in das altgewachsene soziale Gefüge des Dorfs darstellt, Probleme für die Infrastruktur inbegriffen. Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Einheimischen und strikte Nachhaltigkeit sind darum erstes Gebot. Soziale Spannungen sind nicht immer vermeidbar, weshalb man bei den einzelnen Entwicklungsschritten mit der Gemeinde Faido zusammenarbeitet, zu der Sobrio seit 2016 politisch gehört.
Schwierigkeiten gab es zum Beispiel beim Vorhaben, auf der Wiese vor dem Dorf einen kleinen Konzertsaal zu bauen. Der Architekt Mario Botta hatte den Auftrag zur Gestaltung des Baus erhalten und auch bereits einen Entwurf geliefert. Doch dann erhoben einige Bewohner Einspruch. Sie befürchteten, das Dorfleben könnte durch einen wachsenden Kulturtourismus auf den Kopf gestellt werden, und das Projekt blieb einige Jahre liegen. Inzwischen hat man sich geeinigt, und die Suche nach Geldgebern für die Baukosten von 3,5 Millionen hat begonnen.
Das Musikdorf Sobrio ist ein soziokulturelles Abenteuer, das seinesgleichen sucht. Hier kann man beobachten, wie eine ursprünglich rein kulturelle Idee weit über ihren Bereich hinauswirken und die gesellschaftliche Realität tiefgreifend verändern kann. Es ist ein Prozess mit offenem Ausgang. Doch wenn Begeisterung für die Sache und soziale Verantwortung so eng zusammengehen, wie es hier der Fall zu sein scheint, dann besteht Grund zur Annahme, dass für beide Seiten, die Musik und das Dorf, die Zukunft gerade erst begonnen hat.