Asuto Kitamura gewinnt Rahn-Musikpreis 2020
Vom 15. bis 17. Januar 2020 fanden im ZKO-Haus in Zürich die Vorspiele für den Rahn-Musikpreis statt. Die Jury zeichnete vier der acht Finalisten mit je einem Preis aus.

Von den 29 Klavier-Studierenden aus dem In- und Ausland, die an einer Schweizer Musikhochschule immatrikuliert und nach dem 1. September 1992 geboren sein mussten, qualifizierten sich acht Kandidatinnen und Kandidaten für das Finale. In der ersten und zweiten Wettbewerbsrunde hatten sie Stücke aus einem von der Jury (Benjamin Engeli, Adrian Oetiker, Walter Prossnitz und Oliver Schnyder) definierten Repertoire vorzutragen.
Der erste Preis (12’000 Franken) ging an Asuto Kitamura aus Japan, Jahrgang 1996, und der zweite (8000 Franken) an Georgiana Pletea aus Rumänien, Jahrgang 1993. Beide Drittpreisträger, Jérémie Conus aus der Schweiz, Jahrgang 1994, und Yilan Zhao aus China, Jahrgang 1995, erhielten je 4000 Franken.
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- Foto: Rahn Musikpreis / Priska Ketterer
- Georgiana Pletea
Preisträgerkonzert in der Tonhalle Maag
Der Erstpreisträger und die Zweitpreisträgerin erhalten zusätzlich einen Auftritt als Solist bzw. Solistin am Rahn-Preisträgerkonzert mit dem Kammerorchester Basel unter der Leitung von Andrew Joon Choi. Zudem wird ihnen die live Bild- und Tonaufnahme des Konzerts als Streaming-Link zur Verfügung gestellt. Das Rahn-Preisträgerkonzert findet am 30. März 2020 um 19.30 Uhr in der Tonhalle Maag in Zürich statt. Asuto Kitamura wird Schumanns a-Moll-Klavierkonzert op. 54 interpretieren, Georgiana Pletea Mozarts d-Moll-Konzert KV 466.
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- Foto: Rahn Musikpreis / Priska Ketterer
- Jérémie Conus und Yilan Zhao
Kantonale Stufentests in Luzern
Im Februar 2020 findet an der Musikschule Luzern zum ersten Mal der kantonale Stufentest Luzern statt. Bei dieser freiwilligen Standortbestimmung werden rund 130 Schülerinnen und Schüler vor einer Fachperson spielen oder singen sowie eine Theorieprüfung absolvieren.

In anderen Kantonen hätten sich vergleichbare Tests bereits erfolgreich etabliert, schreibt die Stadt Luzern. Die Dienststelle Volksschulbildung des Kantons Luzern, der Verband für die Luzerner Musikschulen sowie ausgewählte Instrumental- und Vokallehrpersonen und Musikschulleitungen haben gemeinsam eine Luzerner Variante dieser Stufentests entwickelt.
Die Tests haben sechs Stufen mit ansteigenden Anforderungen. Schon nach wenigen Unterrichtsjahren kann die erste Stufe bestanden werden, während sich die sechste Stufe an den Aufnahmekriterien für ein Berufsstudium an Musikhochschulen orientiert. Je nach Leistung kann alle zwei bis drei Jahre die nächsthöhere Stufe absolviert werden. Die Stufentests tragen dazu bei, die eigene Leistung transparent zu machen, Ziele zu setzen und den persönlichen Lernplan zu gestalten.
Auf allen Stufen wird ein Pflichtstück aus einer verbindlichen Liste gewählt, ein weiteres Stück wird selber gewählt. Dazu kommen Fragen zu Musiktheorie und Rhythmik sowie ein schriftlicher Test. Als Experten sind Instrumental- und Vokallehrpersonen der Musikschulen im Kanton Luzern im Einsatz.
Mit den Stufentests wird ein weiterer Schritt zur regionalen Zusammenarbeit im Bereich der musikalischen Bildung im Kanton Luzern gemacht. Im Zentrum steht aber die optimale Förderung der musikalischen Entwicklung der Schülerinnen und Schüler, die durch die Stufentests zusätzliche Unterstützung erhält.
Öffentliches Zertifikatskonzert
Am Samstag, 8. Februar 2020, findet das Zertifikatskonzert statt. An dieser öffentlichen Veranstaltung treten ausgewählte Teilnehmende mit ausgezeichneten Leistungen auf, und alle erfolgreichen Prüflinge nehmen ihr Zertifikat in Empfang.
Zertifikatskonzert des Kantonalen Stufentest Luzern
Samstag, 8. Februar 2020, 16 Uhr
Südpol, Arsenalstrasse 28, 6010 Kriens, Grosse Halle
Freier Eintritt
Weitere Informationen: www.musikschuleluzern.ch
Berger Präsidentin des Aargauer Kuratoriums
Nach dem Rücktritt des bisherigen Präsidenten Rolf Keller hat der Aargauer Regierungsrat das Präsidium des Aargauer Kuratoriums öffentlich ausgeschrieben. Gewählt ist nun die Badenerin Daniela Berger.

Daniela Berger war von 2002 bis 2015 Mitglied des Stadtrats Baden und stand in dieser Funktion dem Ressort Kultur / Kinder Jugend Familie vor. Unter anderem fiel in diese Zeit der Aufbau einer neuen professionellen Kulturförderung in der Stadt Baden und die Aufgleisung des Um- und Erweiterungsbaus des Kurtheaters Baden. Daniela Berger ist Gründungs- und Geschäftsleitungsmitglied der Badener Tanzcentrum AG und dort auch als Tanzlehrerin tätig.
Das Aargauer Kuratorium fördert insbesondere das professionelle zeitgenössische Kunstschaffen im oder mit engem Bezug zum Kanton. Das elfköpfige Gremium entscheidet als Fachgremium im Rahmen der bewilligten Mittel abschliessend über Förderbeiträge. Die einzelnen Förderbereiche – unter anderem Kunst in sämtlichen Sparten, immaterielles Kulturerbe, spezifische Weiterbildung für Kulturschaffende, Auszeichnungen – müssen durch die elf Mitglieder des Kuratoriums angemessen vertreten sein.
Zimmermann erhält Ernst-von-Siemens-Preis
Der auch als Nobelpreis der Musik gehandelte Preis der in der Schweiz ansässigen Ernst von Siemenes Musikstiftung geht heuer an die Bratschistin Tabea Zimmermann.

Tabea Zimmermann studierte unter anderem bei bei Sandor Végh am Mozarteum in Salzburg und ist unter anderem Gewinnerin des internationalen Wettbewerbs in Genf 1982. Ab 1987 bis zu dessen Tod im Jahr 2000 konzertierte sie regelmässig mit ihrem Ehemann David Shallon.
Sie lebt in Berlin und hat drei fast erwachsene Kinder. Professuren hatte Tabea Zimmermann bereits an der Musikhochschule Saarbrücken und an der Frankfurter Hochschule für Musik inne; seit Oktober 2002 ist sie Professorin an der Hochschule für Musik «Hanns Eisler». Sie hat überdies das Interesse vieler zeitgenössischer Komponisten für die Bratsche geweckt und zahlreiche neue Werke in das Konzert- und Kammermusikrepertoire eingeführt.
Die Auszeichnung der Ernst von Siemens Musikstiftung ist mit 250’000 Euro dotiert und zählt zu den wichtigsten Musikpreisen weltweit.
Lobbying und Unternehmertum als Vorbild
Der Verband Musikschulen Schweiz lud am 17. und 18. Januar zur 9. Ausgabe des Forums Musikalische Bildung (FMB) ins Trafo Baden. Das Thema lautete «Wege zum Ziel – Chancen einer Gesellschaft im Wandel».

Das FMB findet seit 2012 alle zwei Jahre statt und gehört zum festen Bestandteil der Agenda vieler Bildungsverantwortlicher. Christine Bouvard Marty, Präsidentin des Verbands Musikschulen Schweiz (VMS), durfte in diesem Jahr eine beeindruckende Zahl an Besucherinnen und Besuchern begrüssen, die Mehrheit davon war an beiden Tagen anwesend: Weit über 400 Tageseintritte wurden abgesetzt.
Im Jahr 2007 rief der damalige Präsident des VMS, Hector Herzig, das FMB ins Leben, um die musikalische Bildung als wichtigen Bestandteil der Gesamtbildung im Bewusstsein der Gesellschaft zu verankern. Dieses Anliegen fand in der grandios gewonnenen Volksabstimmung über die «Musikalische Bildung» 2012 einen ersten Höhepunkt. In den ersten fünf Foren (2007 bis 2012, anfänglich noch jährlich stattfindend) wurden folgerichtig neben musikpädagogischen und Zukunftsthemen die politischen Aspekte der Bildung stark gewichtet. Da sich die Umsetzung des Verfassungsartikels 67a «Musikalische Bildung» inzwischen am Vierjahresrhythmus der Kulturbotschaft orientiert, deren dritte Periode (2021–2024) in diesem Jahr in die entscheidende Phase der parlamentarischen Beratung geht, lag es nahe, auch diesmal einen Fokus auf die Politik zu richten.
Menschenrecht Musik
Ein ebenso aufschlussreiches wie unterhaltsames Referat zu den Mechanismen der Macht in Bundesbern hielt Markus Ritter, Präsident des Schweizerischen Bauernverbands und CVP-Nationalrat (SG). Unter dem Titel «Politisch erfolgreich sein – was man von den Bauern lernen kann» präsentierte er eine Sieben-Punkte-Anleitung. Als äusserst erfolgreicher und bekennender Lobbyist hat Ritter mehrfach bewiesen, dass seine Rezepte zum Erfolg führen: «Das Richtige, zum richtigen Zeitpunkt, in der richtigen Form, mit der richtigen Person, am richtigen Ort zu tun, ist grundlegend für den Erfolg», stellte er fest.
Über ein grosses politisches Wissen verfügt auch Max Fuchs, Honorarprofessor für Erziehungswissenschaften an der Universität Duisburg-Essen. Für seine Leistungen als ehemaliger Vorsitzender des Deutschen Kulturrats und als Mitglied des Bundesjugendkuratoriums wurde Fuchs mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. In einer wissenschaftlich stringenten Art und Weise leitete er in seinem Vortrag, ausgehend von der «Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte» der UNO (1948), ein «Menschenrecht Musik» ab.
David Vitali vom Bundesamt für Kultur (BAK), dort unter anderem zuständig für die musikalische Bildung, sprang als Referent für die verunfallte Direktorin des BAK, Isabelle Chassot, ein. Vitali erläuterte die in parlamentarischer Beratung befindliche Kulturbotschaft und hob die Pläne zur Umsetzung der musikalischen Begabtenförderung hervor. Der Referent nahm anschliessend unter der Gesprächsleitung von Jodok Kobelt zusammen mit Christine Bouvard Marty, Max Fuchs und dem Direktor des Schweizer Gemeindeverbands, Christoph Niederberger, an einer «Table ronde» teil.
Im Bann der Digitalisierung
Das FMB versteht sich traditionellerweise als Impulsgeberin für Zukunftskonzepte der Bildung. Den Auftakt des zweiten Tags machte Jan Rihak, Start-up-Gründer und Entwickler von «Classtime», einer in verschiedenen Ländern bereits erfolgreich eingesetzten, webbasierten Partizipations- und Prüfungsplattform für den modernen Unterricht. In seinem Vortrag «Ein unternehmerischer Spirit mit Modellcharakter für Bildungsinstitutionen?» präsentierte er Learnings aus der Programmentwicklung, und bot diese den Zuhörenden als Hilfestellung für eventuelle eigene Projekte an.
Anstelle des erkrankten Peter Röbke sprach Michaela Hahn, Professorin für Musikschulforschung an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, zum Thema «Aspekte einer Musikpädagogik der Gegenwart». Sie warf einen Blick auf die Wurzeln und die Entwicklung der Musikschulbewegung bis heute, benannte den gesellschaftlichen Auftrag der musikalischen Bildungsinstitutionen und stellte einige impulsgebende europäische Modellprojekte vor.
Einer der führenden Soziologen Deutschlands, Armin Nassehi, Ordinarius an der Ludwig-Maximilians-Universität München, äusserte sich in seinem Referat «Bildung gestalten in der digitalen Gesellschaft» zur Bedeutung der Digitalisierung. Er erörterte die Frage: «Für welches Problem ist die Digitalisierung die Lösung?» und stellte diese epochale Errungenschaft in eine Reihe mit anderen weltverändernden Erfindungen wie dem Buchdruck oder der Dampfmaschine. Wie in allen Lebensbereichen sei die Digitalität auch in der Bildung ein Fakt. Die Technik sei aber in den Dienst der Bildungsziele zu stellen.
Gut umrahmt und Good Practices
Das musikalische Rahmenprogramm war wie immer von erlesener Qualität. Das Klarinettenquartett Quadrifoglio hatte sich im Thurgauer und im Schweizerischen Jugendmusikwettbewerb (SJMW) bereits erste Preise mit Auszeichnung erspielt. Damit verdienten sich diese hochmusikalischen jungen Menschen auch einen VMS-Spezialpreis. Der zweite VMS-Preis ging an die Rockband Weird Fishes. Sie hatte bereits am SJMW Jazz&Pop für Furore gesorgt und mit ihrem progressiven Sound das Publikum vom Hocker gehauen. Der Hitparaden-Habitué Gustav setzte den Schlusspunkt des ersten Tages. Er ist seit Jahren bekannt für seine pädagogisch motivierten Schulkonzerte.
Zum dritten Mal führte der VMS seinen Wettbewerb mit zukunftsweisenden Musikschulprojekten durch. Dieses Mal gab es keine Zweit- und Drittplatzierten, sondern gleich drei erste Plätze: Die «Ecole de Jazz et de Musique Acutelle» (EJMA) verdiente sich nach Ansicht der Fachjury unter dem Vorsitz von Felix Bamert einen davon für ihr Projekt «Département de musique assistée par ordinateur (MAO)». Der nächste ging an die Swiss Jazz School Bern (SJS), für das Projekt «iMPro-Webapp: Das digitale Lehrmittel für Improvisation». Den Publikumspreis holte sich die Musikschule Olten mit «Offene Musikschule Olten – Mehr Raum und Zeit für die Musik».
Das nächste FMB findet am 21. und 22. Januar 2022 in Baden statt.
25 Schottische Lieder
Jeden Freitag gibts Beethoven: Zu seinem 250. Geburtstag blicken wir wöchentlich auf eines seiner Werke. Heute auf seine 25 Schottischen Lieder.
«Nach Schottland! Wann fahren wir? Habe ich noch Zeit, meine Zigarre zu Ende zu rauchen?» Ja, Zeit war da, auch ein Steamer, für den der bedeutende Komponist Jonathan Savournon gleich zwei Schiffspassagen gesponsert bekommen hatte. Musikalische Werke von Savournon haben sich nicht erhalten, denn er entsprang der wunderbaren Fantasie von Jules Verne. Mit seinem Roman von der Reise mit Hindernissen nach England und Schottland steht er auch heute noch auf der Höhe der Zeit, vor allem mit dem weisen Fazit: «Sie haben alles gestreift, aber in Wahrheit haben sie nichts gesehen!» Inspiriert hat Verne übrigens nicht etwa Mendelssohns Reise in die Highlands oder dessen Schottische Sinfonie, sondern eine eigene Exkursion im Jahre 1859, die er gemeinsam mit dem französischen Komponisten Aristide Hignard (1822–1898) unternahm.
Und Beethoven? Bekanntermassen hat er weder die Seine noch den Firth of Forth gesehen. Dann aber nahm George Thomson (1757–1851) aus dem fernen Edinburgh 1803 Kontakt mit ihm auf, nachdem dieser bereits bei Haydn, Pleyel und Koželuh kammermusikalisch begleitete Arrangements und knapp gefasste Einleitungen zu schottischen Weisen bestellt hatte: für Singstimme(n), Klavier, Violine und Violoncello. Bis 1820 hat Beethoven knapp 170 Bearbeitungen dieser Art angefertigt, und es darf vermutet werden, dass es für ihn nicht nur ein lukratives Brotgeschäft war. So ersetzen diese Arrangements in seinem Œuvre die Folge der originären Klaviertrios, die 1811 mit dem grossformatigen Werk in B-Dur op. 97 zu einem Abschluss gekommen war. Denn Thomsons Wunsch nach instrumentalen Vor- und Nachspielen eröffnete Beethoven einen kompositorischen Freiraum – ein Freiraum, der allerdings in Edinburgh unverstanden blieb. Umso klarer wurde er von einem anonymen Rezensenten der 1822 bei Schlesinger in Berlin erschienenen deutschen Ausgabe erfasst: «Kein entschlafener Barde wird hier aus den Trümmern nebelvoller Vorzeit geweckt: Beethoven’s selbstständiger Geist ist es, der hier über Hügeln des Schlummers in einem sich selbst erträumten Lande wandelt, das er Schottland nennt.» (Allgemeine musikalische Zeitung, Jg. 30, 1828, Sp. 284)
Hören Sie rein!
Kunst spricht für sich
Eine Studie der Uni Basel weist nach, dass Informationen zu einem Kunstwerk keinen Einfluss auf das ästhetische Erlebnis haben. Die Resultäte dürften auch für das Erleben von Musik relevant sein.

Beim ästhetischen Erleben handelt es sich um ein komplexes Zusammenspiel von Wahrnehmungsweisen und kognitiven Prozessen: Merkmale der Kunstwerke wie die Farbgebung und die dargestellten Inhalte spielen eine Rolle, aber auch individuelle Eigenschaften des Betrachters wie seine Fachkenntnis sowie kontextbezogene Faktoren – etwa der Titel eines Kunstwerks.
Wie Kontextinformationen zu den Kunstwerken das ästhetische Empfinden beeinflussen, haben Forschende der Universität Basel um die Psychologen Jens Gaab und Klaus Opwis in einer realen Ausstellungssituation untersucht. Insbesondere gingen sie der Frage nach, ob und wie sich verschiedene Arten von Informationen auf die ästhetische Erfahrung von Museumsbesucherinnen und -besucher auswirken.
Frühere Forschung hat gezeigt, dass Kontextinformationen die Wahrnehmung und das Erleben massgeblich prägen können – etwa wenn Wein den Konsumenten besser schmeckt, wenn sein Preis höher angegeben wird.
Originalartikel:
www.unibas.ch/de/Aktuell/News/Uni-Research/Kunst-spricht-fuer-sich-und-laesst-Herzen-schneller-schlagen.html
Klanghaus soll kantonaler Kulturstandort werden
Ein neues Gesetz hält fest, dass der Kanton St.Gallen neu alle acht Jahre eine Kulturförderstrategie vorlegen muss. Eine vorberatende Kommission beantragt nun, diese zu genehmigen. Unter anderem soll das Klanghaus Toggenburg kantonaler Kulturstandort werden.

Der Kanton setzt sich für die Jahre 2020 bis 2027 als strategische Ziele der Kulturförderung, die kulturelle Vielfalt zu fördern, das kulturelle Erbe von kantonaler Bedeutung zu bewahren und zu überliefern, die staatliche Überlieferung zu sichern und das Bibliothekswesen zu stärken. Unter anderem will die Kulturförderstrategie der Regierung kantonale Kulturstandorte etablieren, Fördersysteme weiterentwickeln und die digitale Kulturvermittlung stärken.
Unter dem Präsidium von Martin Sailer, Wildhaus-Alt St.Johann setzte sich die vorberatende Kommission laut der Medienmitteilung des Kantons mit der regionalwirtschaftlichen Bedeutung von Kulturinstitutionen auseinander und betonte, wie wichtig die Kulturförderung ist. Besonders zu reden gaben der Kulturlastenausgleich zwischen den Ostschweizer Kantonen rund um die Beiträge an Konzert und Theater St.Gallen, verpflichtende Teuerungsanpassungen bei den Beiträgen an Kulturinstitutionen und Mindesthonoraransätze für Kulturschaffende in Institutionen mit Leistungsvereinbarungen sowie die Unterstützung von Schulen in der Kulturvermittlung.
Ein Antrag, der nach dem Vorbild des Kantons Aargau ein «Kulturprozent» vorschlug, fand in der Kommission keine Mehrheit. Das vorgeschlagene «Kulturprozent» sollte mindestens ein Prozent des ordentlichen Staatshaushalts der Kulturförderung zuweisen. Weiter lehnte die Kommission den Antrag ab, die Förderbeiträge für denkmalpflegerische Massnahmen aus dem Lotteriefonds in den ordentlichen Staatshaushalt zu überführen.
Die Kommission sieht Anträge vor, die sie an die Genehmigung der Kulturförderstrategie 2020 bis 2027 knüpft. Eine Mehrheit der Kommission sprach sich dafür aus, im Rahmen der nächsten Kulturförderstrategie für die Jahre 2028 bis 2035 das Klanghaus Toggenburg als kantonalen Kulturstandort zu bestimmen. Zudem beantragt sie, dass die Aufwände der Kantonsarchäologie ab dem Budget 2021 sowie dem Aufgaben- und Finanzplan 2022–2024 in den ordentlichen Staatshaushalt überführt und nicht mehr vom Lotteriefonds finanziert werden. Dabei soll jedoch der Personalaufwand der Kantonsarchäologie über die bestehenden Personalmittel der Regierung finanziert werden.
Der Kantonsrat berät die Vorlage in der kommenden Februarsession in einziger Lesung. Der Bericht und Entwurf der Regierung sowie die Anträge der vorberatenden Kommission sind im Ratsinformationssystem www.ratsinfo.sg.ch unter der Geschäftsnummer 23.19.03 zu finden.
Klavierwerke einer Mozart-Zeitgenossin
Die Kompositionen von Sophie Westenholz, Musikerin am Hof in Ludwigslust, lohnen eine nähere Betrachtung.

Eleonore Maria Sophia Westenholz – wie sie mit vollem Namen hiess – war eine überaus vielseitig begabte Musikerin. Drei Jahre nach Mozart geboren, wirkte sie als Sängerin, Klavier- und Glasharmonikaspielerin sowie als Komponistin am Hof zu Mecklenburg-Schwerin in Ludwigslust. Daneben konzertierte sie in Städten wie Berlin, Leipzig und Kopenhagen und fand auch noch Zeit, acht Kinder quasi allein grosszuziehen. In Ludwigslust entstanden auch ihre Klavierwerke, die sie bis auf zwei unbedeutende Ausnahmen aber nie veröffentlichte.
Die vorliegenden zwei Bände «Werke für Klavier solo» sind Erstausgaben und kürzlich in der Edition Massonneau erschienen, die sich dem kulturellen Erbe Mecklenburg-Vorpommerns besonders verpflichtet fühlt. Der Herausgeber Reinhard Wulfhorst stellt den Kompositionen ein sehr aufschlussreiches Vorwort voran, das einen spannenden Einblick in das ungewöhnliche Leben der Sophie Westenholz erlaubt. Band I enthält mit der Sonate C-Dur, zwei Sonatinen, Walzern sowie einem Capriccio sozusagen die «leichteren» Stücke, während in Band II mit der Sonate in f-Moll und jener in c-Moll zwei grossformatigere, ambitioniertere Werke zu entdecken sind. Gerade diese beiden Sonaten lohnen eine vertiefte Betrachtung.
Westenholz beginnt ihre Sätze oftmals mit relativ neutralen, nicht gerade originellen Themen, aber entwickelt daraus einen höchst fantasievollen Gang durch verschiedenste Tonarten und Stimmungen. Auch vor dramatischen Zuspitzungen und virtuosen Ausbrüchen scheut sie sich nicht. Somit folgt ihre Musik zwar meist den Formen der Klassik, verweist aber gelegentlich schon auf die Frühromantik. Das ist umso erstaunlicher, als die Komponistin offenbar weder mit der Musik Beethovens noch mit jener seiner Nachfolger in Kontakt kam.
Als Pianistin spielte Sophie Westenholz an ihrem Hof vorzugsweise Werke von Mozart. Ihr letzter Auftritt fand 1813 statt. Danach zog sie sich nicht ganz freiwillig vom Podium zurück. Ihre Enkelin wusste Folgendes zu berichten: «Durch Neid und Kabale der hiesigen Mitglieder der Kapelle, die durchaus nicht von einer Frau dirigiert werden wollten, wurde sie bewogen zurückzutreten …» Sophie Westenholz starb im Alter von 79 Jahren 1838 in Ludwigslust.
Eleonore Maria Sophia Westenholz (1759–1838): Werke für Klavier solo, hg. von Reinhard Wulfhorst; Band 1: em 0119, € 20.00; Band 2: em 0219; € 24.75; Edition Massonneau, Schwerin 2019
Fundgruben in Sachen Schumann
Ein jährlich erscheinendes Journal liefert Schumanniana in Hülle und Fülle.

Mit der Rede des damaligen Deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck beginnen zu können, der sich zwei Wochen vor dem Ablauf seiner Amtszeit in der Villa Hammerschmidt in Bonn über die Romantik und das Komponistenpaar Clara und Robert Schumann geäussert hat, ist ein Glücksfall, der die Erwartung an die übrigen Beiträge hochschnellen lässt. Dann aber wird die Entdeckerfreude gedämpft: Im Schumann-Journal 6/2017, einem Sammelband von 355 Seiten, finden sich neben einem Nachruf auf Nikolaus Harnoncourt, zwei längeren Gesprächen «Lieben Sie Schumann?» mit András Schiff einerseits und der jungen Pianistin Luisa Imorde über ihre neue CD Zirkustänze (mit Stücken von Schumann und Jörg Widmann) andererseits nur Berichte zu Tagungen, Vereinsjubiläen und anderweitigen Schumann-Veranstaltungen – dies allerdings konsequent zweisprachig deutsch und englisch. Immerhin erfährt man dabei, dass Heinz Holliger 2016 mit dem Zwickauer Schumann-Preis geehrt worden ist.
Die Neugier wird dann aber doch befriedigt, wenn noch auf 100 Seiten neue CDs, DVDs sowie Noten und Bücher nicht nur angezeigt, sondern auch besprochen werden. Nicht unterschlagen werden darf die grosse Zahl und die Qualität der Illustrationen in Farbe, die dank Hochglanzpapier vorzüglich präsentiert werden. Die Zielgruppe ist nicht ein «musikwissenschaftliches Fachpublikum, sondern Künstler, Schumann-Liebhaber und interessierte Laien, die gut und kompetent informiert, angeregt und erfreut werden sollen», heisst es im Editorial. Der Eintrag «Mit Unterstützung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien» klärt auf, wer da unter anderen auch dem Schumann-Netzwerk unter die Arme greift. Die vollständigen Publikationen sind denn auch frei greifbar unter www.schumannjournal.net.
Der Band 7/2018 ist mit 445 Seiten noch umfangreicher und auch ergiebiger, folgt aber dem gleichen Konzept: Nachruf auf den Dichter Peter Härtling, zwei Gespräche über Schumann, diesmal mit dem Pianisten Florian Glemser das eine, das andere mit dem Cellisten Guido Schiefen und dem Pianisten Markus Kreul. Im Mittelpunkt jedoch stehen zwei gewichtige Beiträge (im Umfang von 170 Seiten, wiederum zweisprachig) über Clara in Kopenhagen von Gerd Nauhaus und Robert in Berlin von Theresa Schlegel, die gleich schon ankündigen kann, dass «Clara in Berlin» im Jahr 2019 behandelt wird. Wer nicht auf die 50-bändige Gesamtausgabe der Schumann-Briefe warten will, kann hier schon einige der Berlin-Briefe lesen.
Band 8/2019 ist mittlerweile ebenfalls greifbar.
Schumann-Journal 6/2017 und 7/2018, Publikationen des Schumann-Netzwerks, hg. von Ingrid Bodsch und Irmgard Knechtges-Obrecht, deutsch/englisch, Verlag Stadtmuseum Bonn 2017/2018
Die gut sortierte E-Bass-Schule
Für Einsteiger, Umsteiger und Fortgeschrittene hat Thomas Grossmann sein «E-Bass ABC bis Z» verfasst.

Hätte ich einen kleinen, engen Quartierladen einzurichten, ich würde Thomas Grossmann fragen. Der Kontra- und E-Bassist hat nach seiner erfolgreichen Kontrabass-Schule, dem Kontrabass ABC, nun ein Buch für E-Bass verfasst. Und dieses Buch hat die gleiche Qualität wie ein guter Quartierladen. Dort gibt es einfach alles – ausser vielleicht Bass-Saiten. Und in Grossmanns Buch gibt es auch einfach alles – sogar mit Bass-Saiten!
E-Bass ABC bis Z bietet sieben aufbauende Lektionen auf rund 100 Seiten. Anschliessend wird auf 50 weiteren Seiten E-Bass-Know-how vertieft. Die zwölf Kapitel sind eine Art Referenz zu den Lektionen, mit Basisthemen wie Tuning, Tabulatur und Notenlängen. Darüber hinaus findet man viele Grundsatzüberlegungen und Anregungen zu Themen wie Zupfhand und -techniken, Abdämpfen und Fingersätzen. Auch Techniken wie Slap, Flageoletts und Akkordspiel werden beleuchtet.
Der Einstieg geschieht – dank dem Fokus auf die Griffbrettmarkierungen – sofort mit Musik. Mit den solide produzierten Play-alongs zu jedem Notenbeispiel machen bereits die einfachsten Übungen Spass. So entsteht Spielfreude schon bevor man sich dem «klassischen» Lektionen-Aufbau mit Leersaiten und Lagen von tief nach hoch zuwendet. Zu jeder Lektion gibt es weitere Übe-Anregungen.
Insgesamt ist ein hoher Praxisbezug vorhanden. Das zeigt sich auch in den vielen Zusatzinfos und Erklärungen. Sie lassen das Heft auf den ersten Blick etwas überfrachtet wirken. Doch gerade im Musikunterricht sind sie wertvoll, als Ergänzungen und Anregung für eigene Überlegungen. So würde ich das Buch auch primär in diesem Setting empfehlen. Einsteiger, welche sich ohne Lehrperson mit dem Buch auseinandersetzen, brauchen ziemlich viel Biss. So oder so – am Schluss wird man belohnt mit einer soliden Grundkenntnis des Instruments und der gängigen Spieltechniken.
Fortgeschrittenen Spielerinnen und Spielern kann E-Bass ABC bis Z dank den praktischen Tipps und den weit ausgreifenden Themen ebenfalls helfen, fehlendes Wissen aufzuholen. Doch die grosse Stärke dieses Buchs ist die umfassende Breite, nicht die Vertiefung.
Thomas Grossmann: E-Bass ABC bis Z. Für Einsteiger, Umsteiger und Fortgeschrittene EH 11788, Audiofiles zum Download, Fr. 34.50, Hug-Musikverlage, Zürich 2019
Die Hebel-Lieder von Martin Vogt
Die 24 Lieder mit Klavier- oder Gitarrenbegleitung nach Gedichten von Johann Peter Hebel sind das einzige weltliche Werk des Kirchenmusikers.

Der bayrische Organist und Komponist Martin Vogt (1781–1854) ist heute nahezu vergessen. In den Siebzigerjahren war aber die informative und possierliche Beschreibung seiner ersten Lebenshälfte bei Musikfreunden beliebt. Der Autobiografie Erinnerungen eines wandernden Musikers, 1971 in Basel herausgegeben von Heinrich Reinhardt, lässt sich entnehmen, dass Vogt als Sängerknabe an verschiedenen deutschen Klöstern eine umfassende musikalische Schulung genoss und als Dreizehnjähriger zur Weiterbildung nach Regensburg kam. In den Vakanzen und nach dem Studium schlug er sich als Sänger, Organist und Cellist von Kloster zu Kloster durch und war einige Zeit Schüler von Michael Haydn in Salzburg. Der wandernde Kirchenmusikant kam schliesslich nach Wien, von wo er vor den napoleonischen Werbern flüchten musste.
Von 1806 bis 1837 finden wir Martin Vogt in der Schweiz. Er wirkte als Organist an den Klöstern Einsiedeln, Muri, Mariastein und St. Urban, wo er die Langenthaler Bürgerstöchter im Klavierspiel unterrichtete, danach als Organist und Lehrer in Arlesheim und von dort aus als Cellist im Basler Orchester. Während 14 Jahren amtete er schliesslich als Musikdirektor und Lehrer in St. Gallen, bevor er 1837 an seine letzte Station, nach Colmar, zog.
Martin Vogts kirchliche Kompositionen, Orgelstücke und Messen, sind zwar im Druck erschienen, aber weit verstreut. Sein einziges weltliches Werk, 24 Lieder mit Klavier- oder Gitarrenbegleitung nach Gedichten von Johann Peter Hebel (1760–1826), lässt sich auf die persönliche Begegnung des Musikers Vogt mit dem erfolgreichen Mundartdichter im Jahr 1806 zurückführen. Damals waren Hebels Alemannische Gedichte in dritter Auflage, aber auch die Volksliedersammlung Des Knaben Wunderhorn erschienen. Vogts melodiöse mit einfachen Instrumentalbegleitungen ergänzte Lieder erlauben den Vergleich mit den mundartlichen Kunstliedern im Volkston, wie sie, ebenfalls mit Klavier- oder Gitarrenbegleitung, als Sammlung von Schweizer Kühreihen und Volksliedern 1826 in Bern erscheinen sollten.
Ein Konzert mit Vogts Hebel-Liedern aus dem Erstdruck, der in der Zentralbibliothek Solothurn aufbewahrt wird, weckte 2011 bei Hans-Rudolf Binz den Wunsch, diese gefällige Komposition für den praktischen Gebrauch zugänglich zu machen. Es ist das grosse Verdienst der ehemaligen Bibliotheksdirektorin Verena Bider und des wissenschaftlichen Mitarbeiters Christoph Greuter, Martin Vogts Lieder in einer Neuedition vorgelegt zu haben. Es ist sowohl ein Heft mit den Klavier- wie mit den Gitarrenfassungen greifbar.
Martin Vogt: Johann Peter Hebels Alemannische Gedichte. Lieder mit Klavier- und Gitarrenbegleitung, hg. von Christoph Greuter, (Musik aus der Sammlung der Zentralbibliothek Solothurn, Heft 10); Klavierheft, M&S 2523; Gitarrenheft, M&S 2524; je Fr. 38.00, Müller und Schade, Bern 2019
Weiterführende Literatur:
Martin Vogt, Erinnerungen eines wandernden Musikers, hg. von Heinrich Reinhardt, Gute Schriften, Basel 1971
Christoph H. Hänggi: Martin Vogt (1781–1854), ein Organist und Komponist der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts. 2 Bände, Liz. Basel 1988 (mit Werkverzeichnis)
Kelterborn live
Das Musikkollegium Winterthur hat beim profilierten Label Neos eine Porträt-CD mit Werken von Rudolf Kelterborn herausgebracht, alles Live-Aufnahmen mit ausgezeichneten Interpreten.

Rudolf Kelterborn (*1931) zählt zu den prägendsten Musikerpersönlichkeiten der Schweiz. Ob als Komponist, Dozent, Hochschuldirektor, Radiomann oder Redakteur der Schweizerischen Musikzeitung, er war stets an der Front des Geschehens und ist bis heute aktiv: 2017 dirigierte Heinz Holliger die Uraufführung von Kelterborns Musica profana, ein Auftragswerk zum 150-jährigen Bestehen der Musik-Akademie Basel, der Kelterborn über zehn Jahre vorgestanden hatte. Die NZZ bezeichnete es als «kompositorischen Wurf».
Auch das Musikkollegium Winterthur und das Ensemble Phoenix Basel haben in jüngerer Zeit Hommage-Konzerte für ihn gegeben, Jürg Henneberger etwa konzipierte ein originelles Programm mit Musik von Kelterborn und seinen Schülern. Und das Musikkollegium Winterthur spielte die Uraufführung seiner Musik mit 5 Trios (2016/17), die es nun auch als Ersteinspielung auf CD präsentiert. Dieses Trio-Konzept sei für ihn neu gewesen, sagte Kelterborn in einem Interview dazu. Dem 88-Jährigen liegen derartige dramaturgische «Knobelaufgaben» noch immer. Fünf Instrumentengruppen sind auf der Bühne verteilt: je drei hohe und tiefe Streicher, Holz- und Blechbläser sowie ein Trio aus Harfe, Klavier und Perkussion. Verblüffend, wie Kelterborn mit dieser ungewohnten Konstellation umgeht: Er zielt nicht auf Raumklang-Effekte, sondern spielt mit Paarungen und Kontrasten, subtil und hoch expressiv.
Unter der Leitung des versierten Dirigenten Pierre-Alain Monot, dem das Werk gewidmet ist, entfaltet sich ein vielschichtiges Neben- und Miteinander. Packend ist der dritte Teil, Remember, in dem Kelterborn sich selbst zitiert und mit geräuschhaftem Geflüster ins Mysteriöse gleitet. Man hört gebannt zu, vor allem auch, weil das Musikkollegium sehr aufmerksam und mit poetischer Intensität spielt.
Zu diesem neuen Stück kommen zwei ältere Meisterwerke: das Ensemble-Buch I (1990) für Bariton und Instrumente sowie die Gesänge zur Nacht (1978) für Sopran und Kammerorchester. Kelterborns Musik fordert eine hohe Musikalität von den Interpreten, die die schillernde Licht-Dunkel-Atmosphäre intuitiv erahnen. Sarah Wegeners Sopran ist wie geschaffen dafür, sie singt die Gesänge zur Nacht mit reizvoll changierendem Timbre, während der Bariton Robert Koller besonders die Wechsel in die Kopfstimme wirkungsvoll einsetzt.
Rudolf Kelterborn: Ensemble-Buch I; Musik mit 5 Trios; Gesänge zur Nacht. Musikkollegium Winterthur, Leitung Pierre-Alain Monot. Neos 11903
Minimalistische Melodiefragmente auf der Geige
Auf seinem ersten Soloalbum «Diver» kehrt Tobias Preisig den virtuosen Seiten seines Instruments den Rücken und gibt den Klängen viel Raum und Zeit.

In seinen Anfängen bewegte sich der Zürcher Geiger Tobias Preisig noch in recht konventionellen, romantisch angehauchten Jazz-Gefilden. Spätestens aber mit dem spektakulären und international viel beachteten Geige/Schlagzeug-Duo Egopusher und im Duett mit Stefan Rusconi an der Kirchenorgel hat er sämtliche stilistischen Fesseln abgeworfen. Und mit Diver, seinem ersten Solo-Album, zeigt er sich abermals von einer neuen Seite. «Die Geige hat eine lange Tradition und wird als prestigeträchtiges, mit technischer Virtuosität verbundenes Instrument wahrgenommen», erklärt der 38-jährige, inzwischen in Berlin lebende Künstler im Begleittext. «Deswegen gibt es eine Tendenz, dass die Musik schwierig sein muss, um das technische Können des Spielers zu präsentieren. Mich interessierte das immer weniger.»
Diver wurde in drei intensiven Wochen in Preisigs Studio mit Blick aufs Fussballstadion erarbeitet und aufgenommen. Bei der Produktion half Jan Wagner mit, dessen künstlerische Verbindungen ins Faust-Studio in Scheer, aber auch zur Szene um den Berliner Berghain-Klub reichen. Die Abkehr von demonstrativer Virtuosität hat Preisig in den Bereich von minimalistischen Melodiefragmenten geführt, die im abschliessenden Stück Collective gar auf lang dahingestrichene Einzeltöne reduziert werden. Die Rhythmen geben sich Luft und lassen sich viel Zeit. Dann und wann werden sie mittels hauchartiger Bass- und Knacklaute angetönt, oft werden sie bloss von der integralen Bewegung der Geigenmotive getragen. Untermalt wird das Ganze von asketischen Haltetönen aus dem Synthesizer und viel Echo.
Die Disziplin und die Kühnheit, sich auf Essenzen zu konzentrieren, stehen Preisig gut. Diver besteht aus acht in Aufbau und Melodik höchst verschiedenen Stücken, die indes allesamt eine meditative Ruhe ausstrahlen. Ähnlich wie die Ambient-Musik von Brian Eno schaffen sie eine geradezu physische Räumlichkeit, in der sich der Zuhörer ebenso verlieren wie finden kann. Ein herrliches Album voller Raum, Ruhe und Licht.
Diver. Tobias Preisig, Violine und Synthesizer. Quiet Love Records
Kurzformen von Komponistinnen
Die Pianistin Viviane Goergen hat Werke von neun Komponistinnen aufgenommen, einige davon als Ersteinspielung.

Wer sich für die Musik von Komponistinnen interessiert, kennt sicher Germaine Tailleferre und Mel Bonis. Vielleicht hat man auch schon von der mährischen Komponistin Vítězslava Kaprálová oder der Elsässerin Marie Jaëll gehört, wahrscheinlich aber noch nie von Marguerite Roesgen-Champion, Otilie Suková-Dvořáková, Stephanie Zaranek, Vera Winogradowa oder Alicia Terzian. Alle diese Komponistinnen sind auf einer neuen CD der luxemburgisch-schweizerischen Pianistin Viviane Goergen vertreten. Sie hat in Nancy und Paris studiert und ist als Solistin und Kammermusikerin in zahlreichen europäischen Ländern aufgetreten. Ihr Repertoire umfasst nicht nur die Standardwerke, sondern auch Raritäten wie die Klavierwerke von Lyonel Feininger oder Ernst Toch. Dass sie sich jetzt unbekannter Klaviermusik von Komponistinnen widmet, ist sehr zu begrüssen. Walter Labhart, der für das Konzept ihrer CD mit mehreren Ersteinspielungen verantwortlich zeichnet, verfasste auch die kenntnisreichen Booklet-Texte.
Viviane Goergen hat ausschliesslich Miniaturen aufgenommen. La Cathédrale blessée von Mel Bonis ist mit einer Dauer von fünf Minuten das längste Werk. Mitten im Ersten Weltkrieg entstanden, ist das Stück mit dem unüberhörbaren Dies-irae-Motiv auch eine eindringliche Hommage an die durch Kriegshandlungen zerstörten Kirchen. Die Mehrzahl der kurzen Kompositionen hat aber eher einen heiteren und unbeschwerten Charakter, wie etwa die zwei Werke von Dvořáks früh verstorbener Tochter Otilie, die mit Josef Suk verheiratet war. Die in Paris lebende Genferin Marguerite Roesgen-Champion war in den Dreissigerjahren eine Pionierin des Cembalos. Ihre zwei Sätze aus den Bucoliques sind, wie Germaine Tailleferres Sicilienne, typische Werke des französischen Neoklassizismus. Würde man von Marie Jaëll nur ihre Valses Mignonnes kennen, hielte man ihre Musik für ziemlich harmlos. In den letzten Jahren sind aber zahlreiche Kompositionen der berühmten Klavierpädagogin eingespielt worden, die mehr Substanz besitzen.
Die Komponistin und Dirigentin Vítězslava Kaprálová aus Brünn schrieb 1937 für Rudolf Firkušný ihren Klavierzyklus Dubnová Preludia (April-Präludien), der trotz seiner Kürze eine Vielzahl an Stimmungen enthält. Er ist das kompositorisch raffinierteste und wahrscheinlich bedeutendste Werk auf der CD und wurde bereits mehrfach aufgenommen.
Die zwei Russinnen Stephanie Zaranek und Vera Winogradowa studierten beide unter anderem bei Maximilian Steinberg, dem Schwiegersohn Rimski-Korsakows. Ihre Klavierstücke, die in der jungen Sowjetunion entstanden sind, erinnern an die Musik von Prokofjew und Glasunow, ohne diese aber zu kopieren. Wesentlich später, nämlich 1954, komponierte die Argentinierin Alicia Terzian die stimmungsvolle Danza Criolla, die ihrem Lehrer Alberto Ginastera gewidmet und von der argentinischen Volksmusik inspiriert ist.
Viviane Goergens Interpretationen sind elegant und geschmackvoll, was besonders den ruhigen Stücken zugute kommt. Die schnellen Sätze könnten manchmal etwas flüssiger und mit mehr Temperament gespielt sein. Die CD ist allen zu empfehlen, die sich auch im Beethoven-Jahr für wenig bekannte Klaviermusik interessieren.
Pianistische Miniaturen von Komponistinnen. Werke von Mel Bonis, Marguerite Roesgen-Champion, Otilie Suková-Dvořáková, Vítězslava Kaprálová, Germaine Tailleferre, Marie Jaëll, Stephanie Zaranek, Vera Winogradowa und Alicia Terzian. Viviane Goergen, Klavier. Ars Produktion ARS 38 559